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Abbruch der Lektüre – „Unsere Zeit auf Erden ist begrenzt“

Manchmal muss man eine Lektüre einfach abbrechen

Ob oder zu welchem Zeitpunkt man die Lektüre eines Romans abbrechen sollte, ist natürlich eine sehr persönliche, ganz individuelle Fragestellung. Viele Leser*innen vertreten eine 100-Seiten-Regel, nach der jeder Roman eine Chance von 100 Seiten bekommen soll, bevor der Vorhang fällt. Andere sind wesentlich ungnädiger und stellen bereits nach wenigen Kapiteln die alles entscheidende Frage: „Ist die Geschichte es wert, weitere kostbare Lebenszeit in sie zu investieren?“.

Für mich persönlich gab es Zeiten, in denen der Abbruch einer Lektüre überhaupt nicht in Frage kam und ich es als eine Art persönliches Versagen empfand, einen Roman nicht ganz bis zum Schluss zu lesen. Ein Gefühl, mir nicht die notwendige Mühe gemacht zu haben oder vielleicht noch schlimmer, dem Anspruch des Textes nicht gewachsen zu sein. Also quälte ich mich in diesen Fällen bis zum letzten Satz durch die Lektüre, um das Buch danach völlig genervt auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Regal zu versenken.

Diese ungesunde Form der Selbstgeißelung ist glücklicherweise schon lange Vergangenheit. Ohne mich an starre Regeln zu halten, breche ich stockende Lektüren möglichst früh und ohne jedes Bedauern rigoros ab. Das ist mir in der Vergangenheit auch schon nach wenigen Seiten passiert, zum Beispiel weil der Autor eines beschaulichen Whodunit-Krimis sich mit einem ungelenken Präsens nach meinem Eindruck kräftig in der Erzählzeit vergriffen hatte. Natürlich brach ich auch schon Lektüren nach den berühmten 100 Seiten ab, wenn ich bis dahin immer noch nicht in eine Geschichte “hineingekommen” war. Nicht selten erfolgten Abbrüche noch in der Mitte eines Romans, etwa wenn es mich ärgerte, dass der Plot der Geschichte in weiten Teilen verdächtig einem Genre-Klassiker glich oder ich in einem anderen Fall das Gefühl hatte, den gefühlt tausendsten Dan Brown-Clon zu lesen. Einmal brach ich die Lektüre eines populären Wissenschaftsthrillers sogar noch kurz vor Schluss auf Seite 722/988 ab, weil ich mich über mich selbst ärgerte, dem Hype um einen enttäuschenden Roman so viele Seiten lang auf den Leim gegangen zu sein.

Bei meinem aktuellen Abbruch des Spionage-Thrillers “Wie Sterben geht”, von Andreas Pflüger auf Seite 138, spielt allerdings keiner der vorbezeichneten Gründe eine Rolle. Überhaupt gibt es an dem Buch eigentlich gar nichts Besonderes auszusetzen. Andreas Pflügers mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichneter Roman, darunter der Deutsche Krimipreis 2023, ist eigentlich ein gut gemachtes Stück Literatur. Ein spannender Plot, sehr gut recherchiert, auch souverän erzählt und bis auf den haarstäubend belanglosen Titel, auch handwerklich wirklich gut gemacht. Und doch berührt mich der Roman einfach so wenig, dass ich komplett den Antrieb verloren habe, ihn weiterzulesen. Der Fortgang der eigentlich spannenden Geschichte interessiert mich einfach nicht. Auch so etwas gibt es.

Tatsächlich kann ich den Abbruch der Lektüre in diesem Fall nicht richtig in Worte fassen. Für einen Literaturblogger eine sehr unrühmliche Sache. Ich belasse es jetzt einfach dabei, lege den Roman zur Seite und wende mich der nächsten Lektüre zu.

One Comment

  • Michael

    Man begegnet dieser Frage immer wieder. Ich stelle sie mir auch immer dann, wenn ich mich zäh durch die ersten fünfzig Seiten eines Buches kämpfe. Soll ich einfach abbrechen? Eigentlich sollte die Antwort ein klares Ja sein. Man schaut sich schlechte Produktionen im Fernsehen ja auch nicht zu Ende an. Im Kino vielleicht eher, oder im Theater, weil man dafür bezahlt hat und nicht einfach aufstehen und den Saal verlassen will. Aber ein Buch könnte man einfach zuklappen und still ins Regal zurückstellen. Mir ist das während der Zeit meines Bloggens bisher nicht gelungen, obwohl es Momente gab, in denen ich kurz davor war. Aber dann kommen genau die Fragen, die du oben ansprichst. Bin ich dem Text nicht gewachsen? Habe ich was verpasst? War ich zu unaufmerksam? Kommt es nicht doch noch besser? Diese Fragen sollte ich rigoros beiseiteschieben wie das Buch, das mich nicht zu packen weiss. Vielleicht wird mir das in Zukunft ja noch gelingen. Zugunsten all der guten ungelesenen Bücher, die noch in meinem Regal stehen.

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