
Liza Cody, „Die Schnellimbissdetektivin“
Wieder mal bin ich durch einen Literaturpreis auf eine interessante Lektüre aufmerksam geworden. „Die Schnellimbissdetektivin“ war auf den dritten Platz der Kategorie „International“ des Deutschen Krimipreises 2024 gelandet und dadurch unweigerlich in mein Blickfeld geraten. Es ist mein erster Roman der englischen Krimiautorin Liza Cody, *1944 in London, die bereits seit vier Jahrzehnten sehr erfolgreich, Krimis mit Figuren von den Schattenseiten der Gesellschaft veröffentlicht. Vor Ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin, studierte sie Kunst und arbeitete laut Verlag als Roadie, Fotografin, Malerin, Möbeltischlerin und im Wachsfigurenkabinett. Beste Voraussetzungen für eine Autorin unkonventioneller Geschichten. Liza Cody gilt als Pionierin des feministischen Krimis und wurde bereits in den Jahren 2015 und 2017 jeweils mit dem zweiten Platz des Deutschen Krimipreises ausgezeichnet. 2019 erhielt sie zudem den Radio Bremen Krimipreis für ihr Gesamtwerk.
Ihr aktueller Roman „Die Schnellimbissdetektivin“ erschien im Frühsommer 2024 im Argument Verlag – Ariadne und markiert mit der neuen jüdischen Ermittlerin Hannah Abram vermutlich den Start einer neuen Reihe.
Eine Frau als Hardboiled-Ermittlerin. Endlich!
Hält man das kleine schwarze Taschenbuch in Händen, scheinen auf den ersten Blick alle Signale auf freie Fahrt für einen leichten, netten Gute-Laune-Krimi zu stehen. Zentral auf dem Cover, der harmlose, in netter Schreibschrift ausgeführte Titel „Die Schnellimbissdetektivin“, umringt von lustigen Lebensmittel-Piktogrammen. Im gleichen Stil auf der Rückseite ein arglos- launiger Klappentext:
„Authentisch englische Küche – Hannah Abram war bei der Metropolitan Police – bis sie ihren Sergeant in den Kanal warf. Jetzt ackert sie in Digbys ranziger Imbissbude und hat Wut im Bauch. Die Fälle der Schnellimbissdetektivin sind läppisch: Wo treibt sich mein Kerl rum, wer klaut meine Kartoffeln, wo ist mein Hund, wer kippt mir Müll vor die Tür? Dann hat Hannah plötzlich eine Stalkerin am Hals. Nervig, aber im Grunde harmlos – oder doch nicht?“
Klingt eigentlich alles supernett. Die Gestaltung des Taschenbuchs lässt eine Art heimeligen Cozy-Krimi erwarten.
Schon nach kurzer Lektüre wird allerdings deutlich, dass dieser äußere Eindruck täuscht. Die Schnellimbissdetektivin Hanna Abram ist alles andere als nett und harmlos, sondern eine toughe, rotzfreche, aber auch verletzte junge Frau. Allein ihren eigenen Regeln und Wertvorstellungen folgend, stellt sie sich dem Vorstadt-Verbrechen entgegen. Ganz eindeutig eine „Hardboiled-Ermittlerin“, und ich muss es ausdrücklich hervorheben: Endlich eine Frau in dieser männlich dominierten Krimigattung! Großartig!
„Wer mich kennt, weiß, dass ich keine sehr flauschige Person bin. Davon können mehrere Polizisten ein Lied singen, darunter ein toxischer Exfreund und ein klatschnasser Sergeant. Beide wissen, dass ich berüchtigt nachtragend bin.“
Ein Kriminalroman ganz auf der Höhe der Zeit
Die Geschichte ist im London der späten Covidzeit angesiedelt und deutlich düsterer, als der Klappentext nahelegt. Nach ihrer Entlassung aus dem Dienst der Metropolitan Police, ist Hannah Abram wirtschaftlich und sozial komplett abgerutscht. Und das Leben in Großbritannien ist hart in dieser Zeit. Hannah Abram lebt in prekären Lebensverhältnissen und ist finanziell und nervlich am Ende. Als Aushilfskraft ohne jede soziale Absicherung schuftet sie in der heruntergekommenen Imbissbude „Sandwich Shack“ am Rande des Londoner Volksparks. Hier muss sie sich bei Toastscheiben, Würstchen und Speck von ihrem cholerischen Chef Digby ausbeuten lassen. Weil das alles nicht zum Überleben reicht, hält sie sich nebenbei mit kleinen, mehr oder weniger legalen Aufträgen als Privatermittlerin über Wasser. Eine Existenz in den Randzonen der Gesellschaft. Armut, Perspektivlosigkeit, Kriminalität und Ausbeutung. In Hannahs Kreisen ruft man bei Problemen nicht die Metro-Police, sondern wendet sich an die Schnellimbissdetektivin.
„Ich lebe nicht in einem Film, in dem eine Detektivin einen Fall löst, der die Bullen vor ein Rätsel stellt. Mit dem, was sie liegen lassen, kratz ich meinen Lebensunterhalt zusammen.“
Liza Codys, in der Nach-Covid- und Nach-Brexit-Ära angesiedelter Roman, ist ganz auf der Höhe der Zeit. Onlinebetrug, Covid Folgen, Phishing, Krise des britischen Gesundheitssystems, Deep Fake Pornos, der ganze Alltagswahnsinn unserer 2020er Jahre bildet den realistischen Hintergrund des Plots. „Die Schnellimbissdetektivin“ ist ein relevanter, sozialkritischer Roman.
Die Geschichte wird in einem herrlich schnoddrigen, schlagfertigen und selbstironischen Ton erzählt, der die Leser*innen nicht selten schmunzeln lässt. Es ist die Stimme der Ich-Erzählerin Hannah, die uns lakonisch durch die Ereignisse führt. Stark, reflektiert, verletzlich, mit einem herrlichen Sinn für schwarzen Humor. Hannah Abram ist eine Hardboiled-Heldin im besten Sinne.
Ein feministisches Anliegen
Man könnte es jetzt bei dieser oberflächlichen Bewertung belassen und „Die Schnellimbissdetektivin“ auf eine der zahlreichen schwarzhumorigen und sozialkritischen lockeren Kriminalgeschichten von der Stange reduzieren. Den besonderen und äußerst relevanten Kern des Krimis, würde man damit allerdings komplett verpassen.
Lässt man nämlich den klassischen Hardboiled-Hintergrund des Plots beiseite, drängt sich das eigentliche Hauptthemen des Romans geradezu auf. Die Protagonistin bewegt sich in einer toxischen Welt aus Sexismus und Misogynie. Sämtliche männlichen Figuren weisen mehr oder minder krasse, frauenfeindliche oder -abwertende Charakterzüge auf. Die Metro-Police wird von Sexismus dominiert, die Frauen im „Sandwich Shack“ werden wirtschaftlich und sexuell ausgebeutet, im Frauenhaus wird minderjährigen Frauen nachgestellt, Frauen werden von Männern geschlagen und überhaupt werden allenthalben Männer gegenüber Frauen bevorzugt. Sexismus und Misogynie. Liza Codys sozialkritischer Roman befindet sich auch mit diesen Themen auf der Höhe der Zeit. Die verletzliche Hardboiled-Heldin Hannah stellt sich dieser männlich dominierten Welt entgegen. Kein Zweifel, „Die Schnellimbissdetektivin“ ist vor allem ein feministischer Kriminalroman.
Die besondere Qualität des Romans mit diesem großen Anliegen ist, dass das Hauptthema Sexismus ohne erhobenen Zeigefinger transportiert wird. Die Autorin verzichtet komplett auf drastische Darstellungen oder die in der heutigen Kriminalliteratur häufig anzutreffende Schwerstkriminalität. Ganz im Gegenteil kommen Hannah Abrams kleinen Kriminalfälle harmlos, locker und durchaus auch witzig daher. Also doch ein wenig „Cozy“ im düsteren Südlondon. Die Leser*innen werden nicht belehrt und trotzdem ist das besondere feministische Anliegen allgegenwärtig.
„»Ich frage mich, ob irgendwo auf der Welt ein Ort existiert, wo diese Probleme mit Sexismus und Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe nicht gegeben sind.« (…) »Tja«, sage ich, »bei der Met existiert so ein Ort ja wohl nicht.« »Noch nicht«, sagt sie. »Nicht zu meinen Lebzeiten«, sage ich fast gleichzeitig.“
Was bleibt
Liza Codys harmlos klingender Roman „Die Schnellimbissdetektivin“ entpuppt sich als ambitionierter feministischer Hardboiled-Krimi. Eine toughe, rotzfreche, verletzliche und selbstironische Privatermittlerin behauptet sich in einer toxischen Männerwelt. Ein besonderer, lockerer, nachhaltig beeindruckender Kriminalroman.
Unterhaltend / ambitioniert / bewegend
„»Gib dir nie die Schuld an Männergewalt«, sagt Olive nachdrücklich. »Frauen sind niemals schuld daran.«“

- Liza Cody, Die Schnellimbissdetektivin
- Deutsch von Iris Konopik
- OA: „The Short-Order Detektive“, 2024
- Taschenbuch, 351 Seiten
- Deutsche Erstausgabe
- Argument Verlag, Hamburg, 2024
- ISBN: 978-3-86754-275-3
- Preis: 18 E

