Gesellschaftsroman,  Kriminalroman

Alida Bremer „Träume und Kulissen“

Split im Juli 1936. Seit April hat es nicht mehr geregnet. Eine drückende Sommerhitze liegt über dem Königreich Jugoslawien. Die „Perle des Meeres“ an der Adriaküste ist erfüllt mit brodelndem Leben. Ein vielfältiges Miteinander vieler Nationalitäten und Kulturen am Rande der großen Schauplätze des aktuellen Weltgeschehens.

Der Roman „Träume und Kulissen“ der kroatisch-deutschen Autorin Alida Bremer (*1959 in Split) wird getragen von einer mediterranen Leichtigkeit. Zeile für Zeile verströmt er den Duft von Kräutern und einer nicht enden wollenden Vielfalt kulinarischer Köstlichkeiten. Scampi, Tintenfische, Oktopusse, Zahnbrassen, Kalbsschultern, Hammellenden und Käselaibe, alles ist auf den Märkten der Stadt zu finden. Zum Kaffee werden Maraschino-Kugeln aus Butterkeksen, Datteln, Mandeln und Orangenschalen gereicht. Abends gibt es frittierte Sardellen in einer Marinade aus Zwiebeln, Kapern, Olivenöl und Zitrone zum Brot. Allenthalben wird gedünstet, gekocht, frittiert, gebraten und gegrillt. Alles vor dem malerischen Hintergrund der historischen Stadt Split und der blauen Adria. Ein Fest für die Sinne.

„Der Blick auf das Meer ist verstellt von den Segeln der Schiffe, mit denen Händler aus Apulien nach einer langen Fahrt quer über die Adria hierhergekommen sind. Die Pugliesen haben Köstlichkeiten gebracht: Feigenmarmelade, Quittengelee, getrocknete Aprikosen, Törtchen mit Schokolade und Ricotta, Pferdesalami in Pfefferkruste, Schafskäse mit Olivenöl, mit Peperoncini gespickt.“

In Split pulsiert das mediterrane Leben. Nicht allen Einheimischen gefällt, dass immer mehr Touristen die Stadt in Besitz nehmen. Zudem erscheint ein überhebliches Filmteam aus dem nationalsozialistischen Deutschland in der Stadt, um sie als Kulisse zu nutzen.

Die politische Situation ist unübersichtlich. Der österreichische Kaiser gehört hier der Vergangenheit an. Das serbische Königshaus ist jetzt an der Macht. In einigen Kreisen setzt man in dieser Situation auf den Österreicher und deutschen Kanzler Adolf Hitler. Seit in Italien der Faschismus regiert und in Deutschland der Nationalsozialismus an der Macht ist, ist die Hafenstadt zu einer Drehscheibe für Flüchtlinge geworden. Hier in der Provinz besteht eher die Möglichkeit einen Platz für die Überfahrt in die Vereinigten Staaten oder wenigstens als Zwischenstation nach Griechenland zu ergattern. Im Verborgenen lebend, haben die Flüchtlinge sich unter die Bevölkerung gemischt, wohlwissend, dass der lange Arm aus Berlin und Rom längst auch bis in die Hafenstadt Split reicht. Dazu bewegen sich Spitzel, Spione und Fluchthelfer in der Stadt. Auch die politische Polizei ist längst im Hintergrund aktiv. Die Atmosphäre ist explosiv.

„Seit Beginn des Jahrhunderts tummelten sich Österreicher, Ungarn, Türken, Bulgaren, Rumänen, Ukrainer, Albaner, Italiener, Franzosen, Serben, Russen, Griechen, Deutsche, Tschechen, Polen, Briten und sogar Amerikaner in der Stadt. Alle unterhielten ihre Netze von Schnüfflern, die an die jeweiligen Auftraggeber in ihren Ländern berichteten – man fragt sich bloß, was? Das jugoslawische Königreich wirkte bisweilen wie ein Umschlagplatz, auf dem keine Handelswaren, sondern politische Ideen, nationale Spinnereien, Abenteuer, Agenten und Flüchtlinge verladen wurden.“

In den letzten Jahren hat sich ein unübersichtliches und zunehmend gefährliches Treiben entwickelt. Wohin man schaut, überall herrschen Ideologien, Konspiration und Misstrauen. Auch unter den Einwohnern Splits sind die Anzeichen der bevorstehenden neuerlichen Zeitenwende erkennbar. Immer häufiger wird das Zusammenleben durch den rasant um sich greifenden Nationalismus getrübt. Die Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen haben begonnen sich voneinander abzugrenzen. Nationale Überlegenheitsgefühle und Pathos haben sich breitgemacht. Blickt man hinter die Fassaden zeigen sich bereits tiefe Risse. Man ahnt, dass ein weiterer Krieg vor der Tür steht.

„Doch die Eintracht täuschte. Die Menschen hier in der Stadt hatten sich mindestens in sechs politische Lager geteilt (…). Zionisten, Kosmopoliten, Freimaurer, Kommunisten, Republikaner, jugoslawische Ultranationalisten (…). Und es gebe Hinweise, dass die Deutschen mit ihren Kameras Spionage betrieben.“

Inmitten dieser aufgeheizten Gemengelage ereignet sich ein Mord. Ein Fischer mit Kontakten zu den besseren Kreisen der Stadt wird ermordet aufgefunden. War er als Schleuser in Schwierigkeiten geraten oder hat die Tat womöglich private Hintergründe? Die Ermittlungen der Polizei gestalten sich aufgrund der überall drohenden politischen und gesellschaftlichen Verwicklungen als zunehmend schwierig. Dass auch die politische Polizei an dem Fall interessiert ist, trägt nicht gerade zur Beruhigung des ermittelnden Kommissars Mario Bulat bei.

Der Roman ist allerdings kein Krimi. Die Ermittlungen zum Mordfall an dem Fischer sind nicht besonders spannend. Sie dienen mehr als gute Gelegenheit, hinter die Kulissen der bürgerlichen Fassaden der Stadt Split zu schauen. Dieser Blick ist die große Stärke des Romans, der auch keine besondere Action nötig hat. Die langsam in die Familien und Gesellschaft der Stadt einsickernden Vorboten der Katastrophe des Faschismus und zweiten Weltkriegs sind das eigentliche Thema des Romans. Vor dem Hintergrund der mediterranen Idylle ist es beängstigend mit anzusehen, wie sich eine Gesellschaft destabilisiert und alte Normen und Erfahrungen immer mehr ihre Gültigkeit verlieren. Das furchtbare Ende ist bekannt.

Kein Krimi, kein Thriller und auch kein Pageturner. „Träume und Kulissen“ ist ein schwebender, schillernder Sommerroman über einen Sehnsuchtsort. Ein Panorama des mediterranen Lebens der östlichen Adria mit all seinen Farben, Düften und kulinarischen Köstlichkeiten. Ein historisches Gesellschaftsbild der Zwischenkriegszeit vor dem heranziehenden Gewitter und nicht zuletzt auch eine Mahnung.

      • Alida Bremer, Träume und Kulissen
      • Hardcover 360 Seiten
      • Jung und Jung, Salzburg und Wien, 2021
      • ISBN 978-3-99027-258-9

Weitere Buchvorstellungen zu „Träume und Kulissen“ mit sehr interessanten Perspektiven sind auf den Literaturblogs Buchhaltung und Schreibgewitter zu finden. 

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