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Jan Weiler, „Der Markisenmann“
Das Buch hat mich bereits beim Erstkontakt in der Buchhandlung voll erwischt. Präsentiert neben einer Reihe anderer Hardcover-Ausgaben, lag es auf einem der Tische und sprang mir, mit seinem unglaublich schräg-bunten Cover, sofort mitten ins Gesicht. Dieses schrille, braun-orange-gelbe 70er Jahre Design, das im Roman „Kopenhagen“ genannt wird, ist zugleich auch eines der beiden Muster der 3.406 Markisen im Vorrat des titelgebenden Markisenmanns aus Duisburg. Ein Roman mit diesem Cover, noch dazu gedruckt auf einen groben Textileinband, der sich bereits selbst anfühlt, wie eine Markise und dazu den Titel „Der Markisenmann“ trägt – schräger und stimmiger geht es kaum. Ein grandioser Aufschlag. Noch dazu ist die Geschichte des Markisenmanns, soviel will ich vorwegnehmen, eine rührende Hommage an das Ruhrgebiet. 100…
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Elfi Conrad, „Schneeflocken wie Feuer“
„Ich war siebzehn, und ich war eine Frau.“ Der erste Satz des Romans. Einfach, klar, selbstbewusst. Statement und Leitmotiv. Der Roman “Schneeflocken wie Feuer” erzählt die Geschichte der siebzehnjährigen Schülerin Dora, die in der Bundesrepublik der frühen 1960er Jahre mit ihrer Familie in einem Kleinstadthinterhaus lebt. Die Flucht aus Schlesien hat die Familie in den immerzu winterlichen Harz verschlagen, und genauso kalt und erstarrt wie die Umwelt, ist dort auch das Leben im Jahr 1962. An Doras Schule herrscht die damals typische Atmosphäre von Amtsautorität, Disziplin und Gehorsam. Wie überall in der Gesellschaft herrscht in vielen Köpfen noch der Geist von Diktatur und Nationalsozialismus. „Die Lehrer führten uns jeden Tag vor Augen, dass wir keine Ahnung hatten. Dass…
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John Burnside, „So etwas wie Glück“
Mit John Burnsides Erzählungssammlung „So etwas wie Glück“ bot sich mir nach einer Reihe teilweise sehr umfangreicher Romane die Gelegenheit, mich wieder einmal wesentlich kürzeren Texten zuzuwenden. Ich bin sowieso kein Freund allzu dicker Bücher. Gerade in diesem Sommer drücke ich mich erfolgreich um einige neue Wälzer namhafter angelsächsischer Autoren herum, die man als Literaturblogger eigentlich durchaus mal gelesen haben dürfte. Klar – Romane sind mehr als nur eine Geschichte und können ein ganzes Universum darstellen, aber es ist schon schwer neben dem „Reallife“ die Zeit für seitenstarke 700+ Lektüren aufzubringen. Da kam mir John Burnsides 250 Seiten leichte Sammlung gerade recht. John Burnside, geboren 1955 in Schottland, ist ein vielfach ausgezeichneter Autor. Bekannter vor allem als Essayist und Romancier,…
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Gabrielle Zevin, „Morgen, morgen und wieder morgen“
„In der Highscore-Tabelle des Donkey-Kong-Automaten seines Großvaters tauchte er als S.A.M. auf, aber meistens war er einfach nur Sam.“ Verlagswerbung und Klappentext hatten mich sofort elektrisiert: „Morgen, morgen und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin sei „ein Jahrzehnte umspannender Roman über Popkultur und Kreativität…“. Die Geschichte von „Sadie, einer hochbegabten Informatikstudentin und angehenden Gamedesignerin von Computerspielen“ und „ihrem früheren Super-Mario-Partner Sam“, die „beginnen, gemeinsam an einem Spiel zu arbeiten“. Nachdem das „Computerspiel zum Hit wird“, brächen „sich Rivalitäten Bahn, die alles zu bedrohen scheinen, was sie sich aufgebaut haben“. Besuchern meines Blogs oder Twitteraccounts, wird nicht verborgen geblieben sein, dass ich mich, trotz erheblicher zeitlicher Einschränkungen und literarischer Interessen, immer noch als „Gamer“ bezeichnen würde. Meine entsprechende Sozialisation verlief über die…
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Solvej Balle, „Über die Berechnung des Rauminhalts I“
„Begeisterung für Bücher“ ist das Motto dieses Blogs, und ab und zu trifft man auf Lektüren, die es einem ganz besonders leicht machen, sich ganz und gar für sie zu begeistern. Bei dem nur 170 Seiten kurzen Roman „Über die Berechnung des Rauminhalts I“, der dänischen Autorin Solvej Balle ist das der Fall. Solvej Balle wurde 1962 in Bovrup (Nordschleswig) geboren. Nach Studium der Literatur und Philosophie in Kopenhagen, veröffentlichte sie 1984 ihren ersten Roman. Sie gilt als sehr bedeutende dänische Autorin, über die zu lesen ist, dass sie in den 1990er Jahren eines der berühmtesten Werke der dänischen Literatur geschrieben hat. Die auf sieben Bände ausgelegte Buchreihe „Über die Berechnung des Rauminhalts“ wird als ihr großes Comeback gewertet. Drei…
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Dan Simmons, „Terror“
Obwohl ich mich als ein sogenannter „Büchernarr“ bezeichnen würde, ist es für mich immer wieder ein besonderes Ereignis, einen Roman von knapp 1.000 Seiten Stärke zu beginnen. Auch wenn es sich hier ohne Anhänge lediglich um 962 Netto-Seiten handelt, bleibt „Terror“, im wahrsten Sinne des Wortes, ein ganz ordentlicher Brocken Holz. Eine so umfangreiche Lektüre beginne ich nur, wenn ich mir sehr sicher bin, einen wirklich gelungenen Roman vor mir zu haben. „Terror“ von Dan Simmons war so ein Fall. Das Buch war mir auf Twitter ans Herz gelegt worden und ohne diese nachdrückliche Empfehlung, hätte ich eine Lektüre wohl nie in Erwägung gezogen. Doch nach kurzer Recherche zu Autor und Thema war klar, dass „Terror“ einen vielversprechenden Eindruck machte…
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Joachim B. Schmidt, „Kalmann“
Ein einfacher Mensch in einer kargen, verschneiten isländischen Landschaft. Kalmann Odinnsson ist der bewegende Held in Joachim B. Schmidts Roman und hat man ihn einmal kennen gelernt, lässt er einen so schnell nicht mehr los. Denn Kalman ist ein ganz und gar ungewöhnlicher Held. Er lebt an der rauen Nordküste Islands, in dem abgelegenen, trostlosen 173 Seelen Dorf Raufarhöfn. 33 Jahre alt, bewohnt er allein das alte Haus seines Großvaters. In der Schule ist er gescheitert, besitzt keinen Führerschein und steht unter der Betreuung seiner auswärts lebenden Mutter. In Raufarhöfn wird er als eine Art gutmütiger Dorftrottel wahrgenommen, der irgendwie noch dazugehört. Dieser etwas einfältige, liebenswerte Kalmann ist der Erzähler des nach ihm benannten Romans. „Meine Mitschüler freuten sich immer…
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Emma Stonex, „Die Leuchtturmwärter“
Die Sylvesternacht des Jahres 1972. Auf einem Felsen weit draußen vor der Küste Cornwalls, trotzt ein einsamer Leuchtturm der tosenden Nordsee. Am darauffolgenden Morgen sind die drei Leuchtturmwärter spurlos verschwunden. Der zum Abendessen gedeckte Tisch ist unberührt und die schwere Außentür von innen verschlossen. Beide Uhren des Turms sind stehen geblieben und zeigen dieselbe Uhrzeit an. Der fiktionale Roman „Die Leuchtturmwärter“ von Emma Stonex (*1983 in Northamptionshire / England) ist inspiriert von einer wahren Begebenheit, die sich vor mehr als 120 Jahren ereignete und zu einer mythischen Volkssage wurde. Im Dezember des Jahres 1900 verschwanden drei Wärter unter mysteriösen Umständen von einem Leuchtturm auf der unbewohnten Insel Eilean Mòr in den Äußeren Hybriden. Ein Vorfall, der nie aufgeklärt werden konnte.…
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Hari Kunzru „White Tears“
Mit „White Tears“ des britischen Autors Hari Kunzru (*1969 in London) kann ich gleich am Jahresanfang einen sensationellen Roman vorstellen, der mich nicht nur begeistert, sondern auch tief bewegt hat. Ein Buch über den Ursprung des Blues, die New Yorker Musikszene, kulturelle Aneignung und den Rassismus in den Vereinigten Staaten. Der Ich-Erzähler Seth und sein Freund Carter sind Klang- und Musik-Puristen. Allerdings ist es die Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Charaktere. Carter stammt aus reichen Verhältnissen und kann durch einen Treuhandfond über große finanzielle Ressourcen seiner Familie verfügen. Es ist „Old Money“. Ein Vermögen zunächst nicht näher bekannter Herkunft, dass sich bereits seit Generationen in der Familie befindet und deren Mitglieder nachhaltig geprägt hat. Wenn man den Klangspezialisten und Technik-Nerd Seth…
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Alida Bremer „Träume und Kulissen“
Split im Juli 1936. Seit April hat es nicht mehr geregnet. Eine drückende Sommerhitze liegt über dem Königreich Jugoslawien. Die „Perle des Meeres“ an der Adriaküste ist erfüllt mit brodelndem Leben. Ein vielfältiges Miteinander vieler Nationalitäten und Kulturen am Rande der großen Schauplätze des aktuellen Weltgeschehens. Der Roman „Träume und Kulissen“ der kroatisch-deutschen Autorin Alida Bremer (*1959 in Split) wird getragen von einer mediterranen Leichtigkeit. Zeile für Zeile verströmt er den Duft von Kräutern und einer nicht enden wollenden Vielfalt kulinarischer Köstlichkeiten. Scampi, Tintenfische, Oktopusse, Zahnbrassen, Kalbsschultern, Hammellenden und Käselaibe, alles ist auf den Märkten der Stadt zu finden. Zum Kaffee werden Maraschino-Kugeln aus Butterkeksen, Datteln, Mandeln und Orangenschalen gereicht. Abends gibt es frittierte Sardellen in einer Marinade aus Zwiebeln,…