Sigri Sandberg, "Dunkelheit"
Sachbuch

Sigri Sandberg, „Dunkelheit“

Die norwegische Journalistin und Sachbuchautorin Sigri Sandberg beweist mit ihrem kleinen Buch „Dunkelheit“, dass die physikalische Abwesenheit von Licht für uns Menschen, aber auch für die Tier- und Pflanzenwelt, so ungeheuer viel mehr bedeutet.

Sigri Sandberg, „Dunkelheit“ – [Werbung, weil Rezensionsexemplar]

Das Buch „Dunkelheit“ ist als „Eine Liebeserklärung an den Nachthimmel“ untertitelt, und wer wäre geeigneter sich diesem Thema anzunähern als eine Autorin aus Norwegen, einem Land der Polarnacht, in dessen nördlichen Gebieten jenseits des Polarkreises es im Winter so komplett dunkel wird, dass nicht einmal Zwielicht zu erkennen ist.

„Keine blaue Stunde. Kein Grau unter dem Horizont. Tagsüber ist es schlicht und einfach genauso dunkel wie nachts, denn die Sonne steht auch mitten am Tag auf sechs Grad unter dem Horizont. Diese sogenannte Polarnacht dauert in Longyearbyen ungefähr acht Wochen an.“

Um das Buch über die Dunkelheit zu schreiben, verlässt die Autorin die Stadt Oslo, die nachts in einen Teppich aus Kunstlicht eingehüllt ist und deren bis zu 200 Kilometer weit strahlendes Licht den Sternenhimmel samt Milchstraße überlagert. Fünf Tage zieht sie in eine kleine Hütte in Norwegens Hochgebirge, wo die die Nächte noch sternklar und völlig dunkel sind. In dieser Abgeschiedenheit inmitten der Natur versucht sie sich dem Mysterium der Dunkelheit zu nähern.

„Ob sich die Menschen in Europa wohl eine Vorstellung machen können von den tiefen Frieden und der Schönheit dieser gigantischen Eiswildnis?“

Sigri Sandberg, hat zunächst eine Vielzahl physikalischer, geografischer und medizinischer Fakten zusammengetragen: Astronomische Dämmerung, Vitamin D, Schlafstörungen, LED-Technologie, Depression, Fotorezeptoren, Energieentladungen in der Atmosphäre, Lichtverschmutzung, und vieles mehr. Die Liste der Informationen rund um das Thema Dunkelheit ist lang, gut recherchiert und interessant.

Aber „Dunkelheit“ ist zum Glück viel mehr als nur ein Sachbuch. Weitaus interessanter als die vielen harten Fakten sind Sandbergs ganz persönlichen Erfahrungen mit der Dunkelheit, von denen sie hier in großer Offenheit berichtet. Allein in der winterlichen Abgeschiedenheit der Hochgebirgs-Hütte, hat die Dunkelheit noch eine ganz andere, viel tiefere Bedeutung als lediglich die „Abwesenheit von Licht“. Sie bringt die Autorin zum Grübeln, weckt Urängste und düstere Erinnerungen, von denen Sigri Sandberg sehr persönlich und offen erzählt. Ihre eigenen Erfahrungen aus der Einsamkeit verknüpft sie dabei immer wieder mit kleinen Anekdoten aus den historischen Aufzeichnungen Christiane Ritters, einer mutigen Dame des böhmischen Großbürgertums, die 1934 aufbrach, um in der Einsamkeit des norwegischen Gråhuken auf Spitzbergen den gefährlichen Polarwinter in der Wildnis zu erleben. Eine Verbindung zweiter eigenständiger Frauen über fast ein ganzes Jahrhundert entsteht. Sehr gelungen und eindrucksvoll.

„Auch Christiane verliebte sich in die weite Landschaft, die Gletscher, die das Meer küssten, die Stille, den Neuschnee, der sich über die Erde legte. Die Jagdhütte hieß Kap der Ruhe – definitiv einer der schönsten Hüttennamen, die ich je gehört habe …ach, seien wir ehrlich, es ist der schönste – Kap der Ruhe.“

Sigri Sandbergs „Dunkelheit“ ist ein wirklich außergewöhnliches und einfühlsames Sachbuch. Im besten Sinne eine „Liebeserklärung an den Nachthimmel“, die durch Gedichte norwegischer Lyriker*innen über Nacht, Polarwinter und Einsamkeit wunderbar komplettiert wird. Eine ideale Lektüre für den Nachttisch.

    • Sigri Sandberg, Dunkelheit
    • Aus dem Norwegischen von Daniela Syczek
    • OA: 2019
    • Taschenbuch, 174 Seiten
    • btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München, 2022
    • ISBN 978-3-442-77021-2
    • Preis: 12 €
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