Robert Harris, Königsmörder
Historischer Roman

Robert Harris, „Königsmörder“

Der Roman ist eine interessante Geschichtsstunde. Aber auch gelungener Geschichtsunterricht kann mitunter etwas langweilen.

Robert Harris, Königsmörder – [Werbung, weil Rezensionsexemplar]

England Mitte des 17. Jahrhunderts. Das Land ist zerrissen von religiösen, gesellschaftlichen und politischen Konflikten. Die Spannungen hatten sich in zwei Bürgerkriegen entladen in deren Folge König Charles I. hingerichtet und die Republik ausgerufen worden war. Oliver Cromwell, Puritaner und religiöser Eiferer, hatte den König durch ein Gericht zum Tode verurteilen lassen und herrschte danach als sogenannter „Lordprotektor“ mit nahezu unbegrenzter Machtfülle über die Republik. Nach Cromwells Tod wurde im Jahr 1660, mit der Rückkehr von König Charles II. aus dem Exil, die Monarchie wiederhergestellt. Der neue König erließ den „Oblivion Act“, durch den für sämtliche Straftaten, die während der Zeit der Bürgerkriege und der Republik begangen worden waren, Begnadigung gewährt wurde. Vom „Oblivion Act“ ausgenommen waren lediglich die 59 Mitglieder des Gerichts, die unter Oliver Cromwells Führung das Todesurteil über König Charles I. unterzeichnet hatten. Eine erbitterte Jagd auf diese 59 Männer wurde eröffnet. Sobald man ihrer habhaft wird, folgt die äußerst grausame Hinrichtung.

An diesem Punkt im Jahr 1660, setzt Robert Harris Roman „Königsmörder“ ein. Oberst William Goffe und sein Schwiegervater Oberst Edward Whalley, beide Mitunterzeichner des umstrittenen Todesurteils und enge Gefährten Cromwells, gehen nach einer Flucht quer über den Atlantik in Boston/Neuengland an Land. Sie sind in Begleitung des einflussreichen und wohlhabenden Puritaners Daniel Gooking, der sich bereit erklärt hat, ihnen in Cambridge Unterschlupf zu gewähren.

Robert Harris ist bekannt als der große Autor spekulativer, historischer Fiktion. Und genau wie seine vergangenen Bestseller, ist auch sein neuer Roman „Königsmörder“ die Neuschöpfung einer wahren historischen Begebenheit. Die Verfolgung der beiden protestantischen Mitunterzeichner des Todesurteils, ist eine der großen Menschenjagden des 17. Jahrhunderts und hat tatsächlich so stattgefunden. Ereignisse, Zeitangaben, Orte und auch die meisten handelnden Personen, hat es tatsächlich gegeben. Nur Richard Nayler, der düstere und hartnäckige Verfolger und Gegenspieler der beiden Männer, ist fiktiv und beruht auf der Spekulation des Autors.

Wie bei Harris üblich, ist „Königsmörder“ ein Roman, in dem historische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen eine zentrale Rolle spielen und geschickt mit fiktiven Elementen verwoben werden. Das führt jedoch dazu, dass die besonderen Feinheiten des Romans ohne nähere Kenntnisse der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts nicht zur Geltung kommen. Mögen diese Kenntnisse um die englischen Bürgerkriege und den Lordprotektor Oliver Cromwell in Großbritannien Allgemeinbildung sein, bei uns auf dem Kontinent sind sie es ganz sicher nicht. Hier hätte, zumindest in der deutschen Ausgabe, dringend eine nähere historische Einführung vorangestellt werden müssen. Leider wurde aus unerfindlichen Gründen darauf verzichtet. Ein  Versäumnis.

Der Roman punktet nämlich eindeutig mit seiner präzisen und kenntnisreichen Darstellung der damaligen englischen Gesellschaft, deren innere Zerrissenheit sehr geschickt durch die handelnden Charaktere verkörpert wird. In England herrscht Misstrauen zwischen Puritanern, Anglikanern, Presbyterianern, Katholiken, Republikanern und Royalisten. Die Wiederherstellung der Monarchie kann diese Situation nur oberflächlich verdecken. Zur gleichen Zeit verbreitet sich jenseits des Atlantiks Aufbruchstimmung in den Kolonien. Viele englische Puritaner, die in den Bürgerkriegen mit der Republik sympathisierten, waren nach Neuengland emigriert und hatten dort damit begonnen eine neue Gesellschaft aufzubauen. Immer mehr gerieten die neuen Staaten in Konflikt mit der englischen Monarchie. Den Königsmördern Goffe und Whalley steht man hier, in der Welt des Aufbruchs, der Freiheit und der religiösen Eiferer sehr positiv gegenüber. Aber der Arm der englischen Krone reicht immer noch bis nach Massachusetts.

Leider kann die Handlung des Romans mit der sehr gelungenen Darstellung der historisch-gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mithalten. Die Geschichte der Flucht zieht sich über einen ellenlangen Zeitraum von mehr als 18 Jahren und die meiste Zeit davon geschieht nur sehr wenig. Der düstere Beamte der Krone Richard Nayler ist Goffe und Whalley zumeist dicht auf den Fersen. Um nicht aufzufallen oder von Spitzeln verraten zu werden, sind die beiden gezwungen sich wiederholt und über Jahre in düstereren Kellern und geheimen Verschlägen zu verbergen. Gefangenschaft in Freiheit. Das mag zwar historisch korrekt sein, ist aber als Plot mehr als ungünstig. Abgesehen von den wenigen Ortswechseln zwischen ihren düsteren Aufenthalten, ist die Handlung sehr statisch und wird auch nicht besonders spannend erzählt. Ein Szenario, bei dem die Protagonisten bei einem Briefwechsel zwischen Neuengland und London mehrere Jahre Geduld aufwenden müssen, ist ganz offensichtlich nur sehr eingeschränkt für die Darstellung einer Menschenjagd geeignet.

Robert Harris versucht diese großen Pausen zu überbrücken, indem er Edward Whalley ein Buch über die Zeit in der Armee Oliver Cromwells während der Bürgerkriege und die Ereignisse um den Prozess über Carl I. verfassen lässt. Diese immer wieder eingestreuten Rückblenden sind menschlich sehr interessant und historisch aufschlussreich. Hier berichtet Whalley von den vergangenen Schlachten der New Model Army gegen die Royalisten und Oliver Cromwells politischen Intrigen. Auch dessen Entwicklung vom einfachen Abgeordneten zum Lordprotektor wird thematisiert. Wir erfahren, wie die Beteiligten durch die grausamen Kämpfe verändert wurden und welche persönliche Schuld sie dabei auf sich geladen haben. Harte und schicksalhafte Ereignisse. Schon während der Lektüre drängte sich mir die Frage auf, ob die Zeit der Bürgerkriege und der Republik nicht der weitaus spannendere und interessante Plot für einen Roman gewesen wäre?!

Erschwerend kommt hinzu, dass sämtliche Charaktere des Romans sehr eindimensional angelegt sind und holzschnittartig agieren. Weder die Protagonisten Goffe und Nayler, noch irgendeiner der zahlreichen weiteren Charaktere weist erkennbare Graubereiche auf. Lediglich Edward Whalley lässt in seinen Aufzeichnungen leichte Selbstzweifel und eine gewisse Entwicklung erkennen. Das mag zwar, wie auch schon der statische Plot, den historischen Tatsachen geschuldet sein, ist aber trotzdem enttäuschend.

„Königsmörder“ ist eine Geschichtsstunde. Die Lesenden tauchen ein in die von religiösen und politischen Konflikten zerrissene Gesellschaft Englands des 17. Jahrhunderts und können auch die sich bereits abzeichnenden Abspaltung der Kolonien Neuenglands aus nächster Näher mitverfolgen. Insoweit sicher eine intelligente, bereichernde Lektüre. Aber auch gute Geschichtsstunden können langweilen. Von einer aufregenden Jagd ist nur wenig zu spüren. Gekonnt und überzeugend erzählt, fehlen dem Roman einfach die Spannung und die interessanten Charaktere. Was bleibt ist gut gemachter Geschichtsunterricht für Interessierte. 

    • Richard Harris, Königsmörder
    • Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
    • OA: „Act of Oblivion“, 2022
    • Hardcover, 542 Seiten
    • Wilhelm Heyne Verlag, München, 2022
    • ISBN 978-3-453-27371-9
    • Preis: 24 €
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