Uwe Wittstock, „Februar 33“
Der Befund im Winter 24/25 ist eindeutig: Weltweit steht die Demokratie unter Druck. Ein Grund zur Besorgnis, denn Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit. Der Blick auf die noch jüngere deutsche Geschichte offenbart, dass beide rasend schnell verloren werden können.
Ausnahmsweise berichte ich über ein Buch, dessen Lektüre für mich bereits einige Jahre zurückliegt. Ein Buch, das mir wichtig ist. Es ist Uwe Wittstocks „Februar 33: Der Winter der Literatur“. 2021 bei C.H.Beck erschienen, wurde es damals zu meinem „Buch des Jahres 2021“. Da der Blog „Horatio-Bücher“ erst kurze Zeit später startete, konnte ich über dieses Buch leider noch nicht auf dem Blog, sondern lediglich in meinen Kurzrezensionen auf Social-Media berichten. Das möchte ich heute mit dieser kleinen Nachlese ändern.
„Vermutlich gehört es zur Natur eines Zivilisationsbruchs, schwer vorstellbar zu sein.“
„Februar 33: Der Winter der Literatur“ ist eine aufwühlende Chronik der deutschen Schicksalstage vom 28. Januar bis zum 15. März 1933. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Akribisch aus Zeitdokumenten und umfangreichen Zeitzeugenberichten zusammengestellt, bezeichnet Uwe Wittstock sein Buch als „Tatsachenmosaik“. Wie der Titel verrät, liegt der Fokus der Zusammenstellung auf der an langer Hand vorbereiteten Gleichschaltung des reichhaltigen deutschen Literaturbetriebs und der Vernichtung und Vertreibung der intellektuellen Elite der Weimarer Republik.
„Es sind die Geschichten von Menschen, die in extreme Gefahr gerieten. Viele von Ihnen wollten die Gefahr nicht wahrhaben, sie unterschätzten sie und reagierten zu langsam.“
Der letzte Tanz der Republik
Die Chronik setzt ein am 28. Januar 1933 mit dem großen Berliner Presseball, zu dem die literarische Elite der untergehenden Republik letztmalig zusammenkommt. Ganze zwei Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30. Januar. Die Chronik endet gut sechs Wochen später am 15. März mit den brutalen Folterungen und menschenverachtenden Verhören in einer SA-Zentrale in Berlin.
Heinrich und Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Helene Weigel, Carl von Ossietzky, Else Lasker-Schüler und zahlreiche andere bekannte Persönlichkeiten der Republik, stehen im Zentrum der Betrachtungen. Mit Entsetzen sehen wir ihnen während dieser dunklen und hektischen Tage über die Schulter. So werden wir unmittelbare Zeugen ihrer verzweifelten Wege und schicksalhaften Entscheidungen. Durch Uwe Wittstocks erzählerische Collagentechnik entsteht dabei immer wieder ein szenischer, filmischer Eindruck von erschütternder Intensität.
Die Diktatur ist da
Politisch geht in diesen wenigen Tagen alles Schlag auf Schlag. Nur vier Wochen und zwei Tage dauert es, bis alle wesentlichen Bürgerrechte außer Kraft gesetzt sind. Die Diktatur ist da.
„Das große Töten begann erst später. Aber im Februar 33 entschied sich, wen es treffen würde: wer um sein Leben fürchten und fliehen musste und wer antrat, um im Windschatten der Täter Karriere zu machen.“
Tricksereien im Hinterzimmer, die Passivität opportunistischer Mitläufer, Ausschaltung politischer Gegner, Auflösung des Reichstags, Notverordnung „zum Schutze des deutschen Volkes“, Reichstagsbrand, Rekrutierung sogenannter „Hilfspolizisten“ aus SA und SS, Verfolgung, und immer wieder rohe Gewalt und hemmungsloses Wüten. Eindrucksvoll dargestellt durch zahlreich eingestreute Zeitungsmeldungen über die in ganz Deutschland tobenden Unruhen, Morde und Kämpfe.
Demokratie und Freiheit wurden in wenigen Tagen zugrunde gerichtet
Die dramatischen Vorgänge sind für sich betrachtet natürlich nicht neu und weitgehend bekannt. Uwe Wittstocks verdichtenden, collageartigen Schilderungen der teilweise parallel verlaufenden Ereignisse, vermitteln allerdings einen besonders intensiven Eindruck der ungeheuren Geschwindigkeit und großen Dynamik, mit der die demokratischen Bastionen geschleift und Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verloren wurden. „Der Winter der Literatur“ ist eine Mahnung.
„Februar 33: Der Winter der Literatur“ – intensiv / erschreckend / aufrüttelnd
- Uwe Wittstock, Februar 33: Der Winter der Literatur
- Hardcover, 287 Seiten
- Verlag C.H.Beck oHG, München 2021
- ISBN: 978 3 406 77693 9
- Preis: (TB) 16 €