Bronte, Yann, „Sturmhöhe“
Lange schon bin ich ein großer Bewunderer von Emily Brontes Skandalroman „Sturmhöhe“, mit dem sie die englische Gesellschaft der viktorianischen Epoche aus der Fassung brachte. Zudem habe ich immer wieder festgestellt, dass dieser Roman auch heute noch sehr bekannt ist und überraschend viele Literaturfreund*innen begeistert. Es mag an der romantischen, düster-schaurigen Atmosphäre liegen oder vielleicht auch an den aufwühlenden, dramatischen Leidenschaften der Protagonisten, „Sturmhöhe“ fasziniert. Als ich hörte, dass dieser tolle Stoff beim Splitter Verlag als Comic-Adaption erschienen ist, musste ich darüber berichten.
Pure Emotionen und bedrohliche Naturgewalt
Um mich der Comic-Adaption von Emily Brontes „Sturmhöhe“ angemessen nähern zu können, möchte ich zunächst von der literarischen Vorlage berichten:
„Sturmhöhe“ ist der einzige Roman der jung verstorbenen britischen Schriftstellerin Emily Jane Bronte (*1810 in Yorkshire, +1848). Sie erzählt die Geschichte zweier in der Abgeschiedenheit der Moore Yorkshires lebender Familien, hinweg über mehrere Generationen. Die auf dem düsteren Wuthering Heights beheimatete Familie Earnshaw bekommt eines stürmischen Abends Zuwachs in Form des Findelkinds Heathcliff. Ein dunkler, rauer Charakter, der von den Familienmitgliedern abgelehnt wird. Zwischen ihm und der Tochter Catherine Earnshaw entsteht jedoch ein enges Band, eine Art Seelenverwandtschaft. Beide Kinder werden unzertrennlich. Cathrine heiratet dann jedoch den vornehmen Sohn Edgar Linton, Erbe des benachbarten, Guts Thrushcross Grange. Verzweifelt verlässt Heathcliff daraufhin Wuthering Heights, um nach einigen Jahren Abwesenheit, als zu Ansehen gekommener Mann, zurückzukehren. Catherine immer noch verfallen, beabsichtigt er Rache zu nehmen.
Das abgelegene Anwesen Wuthering Heights in den Mooren Yorkshires ist ein von Stürmen und Gewittern umtoster dunkler, unwirtlicher Ort. Die von den Naturgewalten aufgewühlte, bedrohliche Landschaft korrespondiert mit den Charakteren seiner Bewohner, ganz besonders des gewaltvollen, düsteren Findelkindes Heathcliff. Infolge gesellschaftlicher Zwänge und tragischer Liebe, verwickeln sich die Beteiligten beider Familien immer tiefer in ein Gespinst von Abhängigkeiten und psychologischen Ausnahmezuständen, mit dramatischen Folgen. Brennende Liebe, Gewalt und auch eine mystische Seite machen „Sturmhöhe“ zu einem dunkel-romantischen Schauerroman, der auch Elemente der Dramen Shakespeares erkennen lässt. Ein moralisch unkonventioneller, sehr komplexer Stoff von elementarer Wucht, der unzählige Lesarten zulässt.
Bei Erscheinen im Jahre 1847 stießen die wilde kraftvolle Sprache, dämonischen Leidenschaften und menschlichen Abgründe in der viktorianischen Öffentlichkeit auf große Empörung. Erst in späterer Zeit, wurden die besondere Stellung und Qualität dieses Romans anerkannt. Obwohl seine Bedeutung noch immer nicht ganz unumstritten ist, kann man „Sturmhöhe“ ganz sicher als Meilenstein und großen Klassiker bezeichnen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass der anspruchsvolle Roman nicht ganz leicht zu lesen ist. „Sturmhöhe“ weist eine sehr verschachtelte Erzählstruktur auf und wird teilweise durch doppelte Rückblenden aus der Perspektive verschiedener Nebenfiguren erzählt, deren Wahrnehmungen nicht immer so ganz zu trauen ist. Die äußerst präzisen ausgearbeiteten verwandtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen der Beteiligten untereinander, gestalten sich zudem beim ersten Lesen als recht unübersichtlich. Zumindest mir persönlich erging es damals so. „Ein Königreich für eine Ahnentafel“ oder „Wie gut, dass es heute Wikipedia gibt“! Insgesamt kein idealer Stoff für eine Comic-Adaption. Umso gespannter war ich auf die Lektüre der Graphic Novel von Yann und Édith.
Kein Wettbewerb der Illustrationen mit der großen Romanvorlage
Wohlweislich hat man sich bei der Graphic Novel komplett von der komplizierten Erzählstruktur der Romanvorlage gelöst. Stattdessen wird die Geschichte ohne kompliziertere Rückblenden linear aus der Perspektive Catherines erzählt, die neben Heathcliff die zweite Protagonistin darstellt. Es tut der Umsetzung gut, dass sich Yann und Édith auf keine erzählerischen Experimente einlassen und ganz auf die Handlung konzentrieren.
Obwohl der Band mit 96 Seiten recht großzügig bemessen ist, liegt es in der Natur der Dinge, dass die Romanvorlage inhaltlich stark zusammengekürzt werden musste. Anders geht es in diesen Fällen nicht. Wer die Originalfassung von „Sturmhöhe“ kennt, wird allerdings beruhigt feststellen, dass im Grunde alle entscheidenden bzw. prägnanten Szenen in der Graphic Novel wiederzufinden sind. Darüber hinaus ist auch der „Schnitt“ der einzelnen Szenen, sowie die gesamte Dramaturgie der Umsetzung ausgesprochen gut gelungen. Yann und Édiths Version der Geschichte ist, wie das Original, sehr gut erzählt.
Auch drängen sich die Illustrationen nicht zu sehr in den Mittelpunkt. Ganz nach dem Motto: „Der Star ist die Geschichte“ halten sich die Bilder angenehm zurück und stellen sich in den Dienst der ausgesprochen starken Romanvorlage. Diese bemerkenswerte Zurückhaltung kommt der Comic-Adaption absolut zugute. Zwischen Geschichte und Illustrationen wird kein Wettbewerb eröffnet, sondern beides ist angenehm aufeinander abgestimmt.
Passend zu Geschichte und Charakteren fällt Édiths Bildersprache düster und markant aus. Keine idealisierende, blendende Graphic Novel-Ästhetik, sondern stattdessen gedrungene, unsymmetrische Strichzeichnungen, mit dunklen, gedeckten, manchmal schmutzig wirkenden Farben coloriert. Genauso ambivalent und zerrissen wie die Protagonisten, sind auch die Illustrationen ausgeführt. Trotzdem sind aber auch beeindruckende Perspektiven und stimmungsvolle Szenen anzutreffen. Konsequent und gerade für die Kenner*innen der Romanvorlage auch sehr überzeugend.
Insgesamt macht die Hardcover-Ausgabe einen hochwertigen und gelungenen Eindruck. Besonders eindrucksvoll ist dabei das Buchcover geraten, auf dem die vom Sturm umwehte, leicht entrückt wirkende Catherine, auf einem Hügel stehend in die Ferne blickt. Wunderbar anzusehen, allerdings nicht ganz repräsentativ für die Anmutung der im Band folgenden Illustrationen.
Souverän erzählt und beeindruckend in Szene gesetzt
Die im Splitter Verlag erschienene Graphic Novel von Emily Brontes Roman „Sturmhöhe“ ist eine gelungene Umsetzung des düsteren Klassikers der viktorianischen Literatur. Stimmungsvoll und zurückhaltend illustriert, wird hier ein großer Stoff souverän erzählt und beeindruckend in Szene gesetzt. Alles passt zueinander. Sowohl Anhänger*innen der Romanvorlage als auch Neueinsteiger*innen werden mit dieser schönen Ausgabe gut unterhalten.
Werbung, weil Rezensionsexemplar
- Emily Bronte, Yann (Szenario), Sturmhöhe
- Aus dem französischen von Sophie Beese
- OA: „LES HAUTS DE HURLEVENTS“, 2009/2010
- Hardcover, 96 Seiten
- SPLITTER Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld, 2022
- ISBN 978-3-96792-162-5
- Preis: 19,80 €
6 Comments
emion
Hallo,
Die Bilder bzw der Zeichenstil gefallen mir sehr gut!
Aber hab ich es richtig verstanden, dass es aus der Perspektive von Catherine erzählt wird? :O Das ist im Original nicht so. Aber vielleicht ist der Abschnitt ja aus einem von ihren Tagebucheinträgen..?
Ich hab von deinem Beitrag jetzt gar nicht viel gelesen, weil ich das Buch noch nicht beendet habe und mich nicht spoilern will.
Aber es sieht echt cool aus.
Liebe Grüße
emion
Horatio-Bücher
Hallo emion,
vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ja, die Erzählperspektive ist im Comic sehr stark vereinfacht und auch ganz anders als im Roman. Das passt hier aber ganz hervorragend.
Ich wünsche Dir weiter viel Spaß bei dem Roman und LG
Horatio 🙂
Aleshanee
Schönen guten Morgen!
Deinen Beitrag hab ich heute gerne in meiner Stöberrunde verlinkt 🙂
Liebste Grüße, Aleshanee
Aleshanee
Schönen guten Morgen!
Ich hab das Buch auch gelesen – allerdings ist das sicher schon 20 Jahre her und deshalb meine Erinnerung daran so gut wie verschwunden… einerseits würde ich es gerne nochmal lesen wollen, andererseits warten grade zu viele andere Bücher.
Die Umsetzung in der Graphic Novel klingt aber echt sehr gelungen! Das Format lese ich ja an sich gar nicht, aber hier würde es mich tatsächlich sehr reizen!
Vielen Dank für die tolle Vorstellung!
Liebste Grüße, Aleshanee
Horatio-Bücher
Hallo Aleshanee,
das geht mir ganz ähnlich. Es gibt so viele schöne Neuerscheinungen, dass man kaum dazu kommt, alte Klassiker noch einmal zu lesen. An die Vorstellung einer Graphic Novel habe ich mich nur gewagt, weil es hier um die Umsetzung eines meiner Klassiker-Lieblinge geht. Ansonsten ist das auch nicht so mein Gebiet. Diese grafische Aufbereitung des Stoffs hat mir allerdings wirklich gut gefallen.
Vielen Dank für Deine Rückmeldung und allerbeste Grüße
Horatio 🙂
Aleshanee
Naja, ehrlich gesagt könnte ich es durchaus nochmal lesen, ich lese schon seit einigen Jahren immer wieder re-reads … ich hab gemerkt, dass es total Spaß macht, in die alten Geschichten einzutauchen, die einem schon damals so gut gefallen haben 🙂
Aber da gibt es halt auch Prioritäten und momentan sind andere re-reads bevorzugt 😀