Horatio Unterwegs,  Sachbuch

Das Heinz Nixdorf MuseumsForum Paderborn – „Die Geschichte der Zukunft“

Es ist sicherlich ungewöhnlich auf einem Literaturblog einen Bericht über den Besuch eines Computermuseums anzutreffen. Da ich aber schon immer ein Faible für Nerd-Themen und insbesondere für Computer hatte, interessiere ich mich natürlich auch für den Ursprung und die Entwicklung der Informationstechnologie. Da war das Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) das ideale Ziel, für einen Besuch im Neujahrsurlaub. Neben all den historischen und technischen Details drängten sich mir dann vor Ort aber auch zahlreiche Bezüge zu Themen der Literatur auf, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Da vom HNF zudem auch zwei sehr gelungene Bücher herausgegeben werden, lag es nahe, hier auf dem Blog, unter der neuen Kategorie „Horatio-Bücher unterwegs“, über meinen Besuch dieses außerordentlich faszinierenden Museums zu berichten.

Das Heinz Nixdorf MuseumsForum gilt als das größte Computermuseum der Welt und ist etwas überraschend, außerhalb der großen Metropolen im beschaulichen ostwestfälischen Paderborn beheimatet. Standesgemäß residiert es im Gebäude der früheren Verwaltungszentrale der Nixdorf Computer AG, die im 20. Jahrhundert zu den bedeutendsten und innovativsten Computerherstellern Europas gehörte. Die beispiellose Sammlung historischer Objekte der Rechen-, Schreib-, Bürotechnik und natürlich der Computertechnologie wurde vom Unternehmensgründer Heinz Nixdorf (1925 bis 1986) begründet. Sie wird laufend erweitert und ist seit 1996 als „Computermuseum“ der Öffentlichkeit zugänglich. Es ist die Zielsetzung des Heinz Nixdorf MuseumsForums die Orientierung und Bildung des Menschen in der modernen Informationsgesellschaft zu fördern.

Der Altair 8800. Erster Personal Computer.

Das ambitionierte Motto der Dauerausstellung des HNF lautet „5000 Jahre Informationstechnik. Von der Keilschrift bis zu Internet“ und allein die Aufzählung einiger der vielen Ausstellungshighlights lässt die Herzen technikaffiner Menschen höherschlagen: Der Nachbau der Leibniz Vierspezies-Rechenmaschine, eine Enigma, Bauteile des ENIAC, die Zuse Z11, der Computer der Gemini II-Mission, die 70er/80er Legenden Altair 8800, Apple I, Sinclair ZX80, C 64, Magnavox Odyssey-Spielkonsole und tatsächlich auch ein wunderschöner Cray-2. Die nicht enden wollende Zahl legendärer Exponate ist für Nerds nahezu unfassbar.

Trotz der überwältigenden Elektronik- und Computerkompetenz beschäftigt sich aber ein beträchtlicher Teil der Ausstellung mit der historischen analogen Welt der Informationstechnik. Die Reise beginnt mit Zeichen, Zahlen und Sprache als die ursprünglichen Systeme menschlicher Nachrichtenübertragung. Eine Tontafel mit Keilschrift und auch der Nachdruck eines Bandes der Gutenberg Bibel können bewundert werden. Bereits an dieser Stelle, gleich zu Beginn des großen Rundgangs ist zu spüren, dass im HNF nicht einfach nur technische Ingenieurs- oder Informatikleistungen zu bewundern sind, sondern die meisten Exponate auch eine historische, kulturelle und ästhetische Bedeutung aufweisen, die weit über ihre eigentliche Funktion hinausreicht.

Da verwundert es auch nicht, dass der im November verstorbene Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger dem HNF lange als begleitender Berater zur Seite gestanden hat. Enzensberger, der gegenüber den physikalischen und mathematischen Themen moderner Naturwissenschaft sehr aufgeschlossen war, verfasste für das HNF einen Text, der im Eingangsbereich zu lesen ist und die Besucher auf das Museum einstimmt. Weitere Texte aus seiner Balladensammlung „Mausoleum“ über die Wissenschaftler Leibniz, Charles Babbage und Alan Turing sind, neben einem exklusiv für das HNF verfasstem Gedicht über John von Neumann, in den entsprechenden Ausstellungsbereichen als Einspielungen zu hören.

Schreibkugel von Malling Hansen – Erste in Serie hergestellte Schreibmaschine der Welt [Foto Sergei Magel/HNF]

Der erste große Ausstellungsschwerpunkt, die „Mechanisierung der Informationstechnik, beginnt mit der Geschichte der Schreibmaschine. Bewundernswert, welche Vielzahl historischer Modelle hier zusammengetragen und in zeitlichen Zusammenhang gesetzt wurden. Auch besonders ausgefallene Stücke, wie die zeitweise von Friedrich Nietzsche genutzte dänische Schreibkugel, sind hier zu finden. Bei der Betrachtung dieser vielfältigen mechanischen Wunderwerke kam mir unweigerlich in den Sinn, welch ein inniges Verhältnis viele Autor*innen mit ihrer Schreibmaschine verband. Nicht wenige von ihnen blieben das gesamte Autor*innen-Leben ihrer ersten mechanischen Schreibmaschine treu verbunden und wollten sich auch noch zu Zeiten moderner Textverarbeitung am Computer nicht vorstellen, dieses analoge feinmechanische Werkzeug gegen einen digitalen PC auszutauschen. Beim Anblick der herrlichen Maschinen fällt es einem leicht, das nachzuvollziehen.

Weitere Aufmerksamkeit beim Thema „Mechanisierung“ gilt den Registrierkassen, mechanischen Rechenmaschinen, frühen Automaten, Verschlüsselungsgeräten und besonders den Lochkartensystemen, die eine Datenverarbeitung der Frühzeit darstellten. Unweigerlich fühlte ich mich durch die besondere Ästhetik der Ausstellungsstücke und die Anwesenheit der filigranen mechanischen Rechenmaschinen in die Welt aus William Gibsons und Bruce Sterlings Roman „Die Differenzmaschine“ versetzt. Tatsächlich sind verschiedene Arten von Differenz- und Lochkartenmaschinen in der Ausstellung zu finden. Gibson und Sterling hatten mit ihrem Roman, nicht zuletzt inspiriert von Autoren wie Jules Verne, das literarische Genre des „Steampunks“ wesentlich mitbegründet, aus dem sich später eine ganze Subkultur entwickelte. Eine Spielart der Science-Fiction in Form eines Retro-Futurismus, der selbst zwar auf fiktiven Alternativwelten beruht, dessen Design und Ästhetik aber auch in den Themen und Exponaten der Ausstellung deutlich zu erkennen ist.

Enigma Chiffriermaschine

Daneben ist auch eine originale Enigma Teil der Sammlung des HNF. Nicht zuletzt durch den gleichnamigen historischen Thriller von Richard Harris sind diese legendäre Chiffriermaschine und die dramatischen Umstände ihrer Entschlüsselung in Bletchley Park einem breiten Publikum bekannt geworden. Eindrucksvoll, dieses Gerät aus dem Roman mit eigenen Augen zu betrachten. An der Entschlüsselung der Enigma wesentlichen Anteil hatte der britische Mathematiker Alan Turing mit der von ihm entwickelten Turingmaschine. Neben vielen weiteren Persönlichkeiten, wie z.B. Charles Babbage, dem Erfinder der Differenzmaschine, sind auch Alan Turing und sein Lebenswerk in der „Galerie der Pioniere“ ausführlich dargestellt und verewigt.

Zahlreiche weitere spannende Ausstellungsschwerpunkte folgen noch und allein in den wunderbar ausgestatteten und kenntnisreich präsentierten Abteilungen „Die Erfindung des Computers“ und die „Computer der Jahre 1950 bis 2000“, könnte man viele Stunden, ja problemlos ganze Tage verbringen. Für Fans der Science-Fiction der 50er bis 70er Jahre besonders fesselnd, sind natürlich die Ausstellungsteile zu den gigantischen historischen Relais- und Röhrenrechnern wie dem Mark I, Model V und natürlich dem ENIAC, deren Aussehen und Funktionsweise anhand von Grafiken und einzelnen Originalkomponenten wunderbar rekonstruiert wurden und ausführlich erläutert werden. Die raumfüllenden Maschinen waren technische und ästhetische Inspiration für eine ganze Generation von SF-Autoren wie z.B. Isaac Asimov oder die frühe Perry Rhodan Heftreihe. Sie sind nicht nur für Fans sehr beeindruckend.

Die 2,5 Tonnen schwere Cray-2 war im Jahr 1985 der schnellste Computer der Welt [Foto: Sergei Magel/HNF]

Ich muss hier jetzt aus Platzgründen leider aufhören, all die vielen faszinierenden Exponate des HNF noch weiter aufzuzählen. Die Dauerausstellung reicht bis in das bestehende Jahrhundert hinein und entsprechend aktuell sind auch die Themen und Exponate des Bereichs „Computer für alle 1980 bis 2000“, die sich den Legenden des Silicon Valleys, inklusive seiner Garagen und modernen Pioniere widmen. Mit einem Ausblick auf die digitale Entwicklung und Robotik des 21. Jahrhunderts findet die einzigartige, mit unzähligen Raritäten bestückte, spannende Dauerausstellung ihren Abschluss. Ein weit über den Bereich der Technik hinaus anregender Rundgang, für den die Besucher*innen viel Zeit einplanen sollten.

Das Heinz Nixdorf MuseumsForum präsentiert nicht lediglich technische Exponate, es versetzt die Besucher in vergangene technische Welten. Nichts weniger als die Vergangenheit der Zukunft wird hier Realität. Nicht nur Informatiker, Ingenieure und Technik-Nerds werden angesprochen, auch Menschen, die sich allein für Kultur, Design und Ästhetik vergangener technologischer Epochen interessieren, kommen hier auf ihre Kosten. Ein wahrlich lohnender Besuch.

Wie es sich für einen Literaturblog gehört, möchte ich in diesem Zusammenhang natürlich noch auf zwei sehr gelungene Bücher hinweisen, die vom HNF herausgegeben werden und sowohl über den Museumsshop als auch den normalen Buchhandel bezogen werden können:

„Geschichte der Zukunft – Eine Reise durch das HNF“

Eigentlich handelt es sich bei dem 256 Seiten starken Büchlein um einen Museumsführer. Tatsächlich ist es aber mehr als nur ein Katalog zur Ausstellung. Aufgrund der Größe und Vollständigkeit der Sammlung ist aus der „Geschichte der Zukunft“ ein umfassendes und informatives Sachbuch zum Motto „5000 Jahre Informationstechnik. Von der Keilschrift bis zum Internet“ geworden. Herrlich bebildert fasst es die vielen gut aufbereiteten Informationen der Ausstellung zusammen. „Zahlen, Zeichen und Signale“, „Die Mechanisierung der Informationstechnik“, „Die Erfindung des Computers“, „Galerie der Pioniere“, „Kulturgeschichte des Büros“, „Computer in Wissenschaft und Technik 1950-1970“, „Computer in Wissenschaft und Beruf 1970-1980“, „Computer für Alle 1980-2000“, „Global Digital“ und natürlich „Nixdorf – Wegbereiter der dezentralen Datenverarbeitung“, sind die großen, der Ausstellung folgenden, Kapitel des Buchs. Durchaus sinnvoll es im Vorfeld zur Vorbereitung auf den Museumsbesuch zu lesen. Aber auch ohne einen Besuch des HNF ist die „Geschichte der Zukunft“ ein ausgesprochen gelungenes, sehr empfehlenswertes Sachbuch zum Schmökern, das zu einem konkurrenzlos günstigen Preis angeboten wird.

"Geschichte der Zukunft" [Foto: Sergei Magel/HNF]
  • Heinz Nixdorf MuseumsForum GmbH (Hrsg.), Geschichte der Zukunft
  • TB, 256 Seiten
  • Heinz Nixdorf MuseumsForum GmbH, 2021
  • ISBN 978-3-9805757-7-5
  • Preis 9,50 €

„Die Evolution der Informationstechnik – 5.000 Jahre in 50 Bildern“

Zusätzlich zum Museumsführer wird vom HNF auch der Bildband „Die Evolution der Informationstechnik – 5.000 Jahre in 50 Bildern“ herausgegeben. Die 50 eindrucksvoll fotografierten Exponate sind allesamt Highlights der Ausstellung und werden jeweils von einem kleinen erläuternden Text begleitet vorgestellt. Informativ, wertig ausgeführt und sehr schön anzusehen.

"Evolution der Informationstechnik" [Foto: Sergei Magel/HNF]
  • Alfred Wegener
  • Hardcover, 128 Seiten
  • HNF Heinz, Nixdorf MuseumsForum, 2016
  • ISBN 978-3-9805757-4-4
  • Preis 24,95 €
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