10 Fragen an...

10 Fragen an: Nils Westerboer – Autor

Im Februar des letzten Jahres erschien bei Klett-Cotta der Science-Fiction-Roman „Athos 2643“. „Athos 2643“ ist der zweite Roman des Autors Nils Westerboer und wurde hier auf dem Blog bereits mit großer Begeisterung vorgestellt. Die in ferner Zukunft angesiedelte, essayhafte Züge tragende, Geschichte um den Inquisitor und KI-Spezialisten Rüd Kartheiser und seine holografische Assistentin Zack, ist eine gelungene Verbindung technischer, philosophischer, juristischer und ethischer Fragestellungen. Der faszinierende Roman ist für den „Literaturpreis für Phantastik SERAPH 2023″ nominiert.

Der Autor Nils Westerboer, geboren 1978 im schwäbischen Gaildorf, kann einen ausgesprochen abwechslungsreichen und interessanten Lebenslauf vorweisen. Trotz früher Berufswünsche als „Raketenanzünder bei der NASA“ und „Monsterfilmregisseur“, verbrachte er nach dem Abitur zunächst einige Zeit als Betreuer für Menschen mit Behinderung in Israel, wo er auch als Hausmeister, Elektriker und Trainer für Sprengstoffsuchhunde zum Einsatz kam. Auf seine Nahostreisen folgte dann von 1999 bis 2004 ein Medienstudium/Schwerpunkt Filmwissenschaft mit Kameraassistenz für ZDF und NDR im Bereich Naturfilm (im Lebenslauf fallen hier die aufregenden Begriffe: „Hornissen, Wölfe und Vampire“). 2005 bis 2010 dann ein Studium der Germanistik und Evangelischen Theologie mit nachfolgendem Vorbereitungsdienst auf das Lehramt in Gera.

2015 war es dann so weit: Sein Debütroman „Kernschatten“ wurde veröffentlicht und sogleich für den „Deutschen Science-Fiction-Preis“ nominiert. Im Gegensatz zu „Athos 2643“ handelt es sich bei „Kernschatten“ allerdings nicht um ein reines Science-Fiction Szenario, sondern um einen Wissenschaftsthriller. „Kernschatten“ ist vor einigen Wochen beim Klett-Cotta-Verlag, in überarbeiteter Form, wieder erschienen und ebenfalls schon hier auf Horatio-Bücher vorgestellt worden.

Da mir beide Romane bekanntermaßen außerordentlich gut gefallen, war ich besonders erfreut, dass sich Nils Westerboer ohne Zögern dazu bereit erklärte, für ein schriftliches Interview in dem Format „10 Fragen an…“ zur Verfügung zu stehen.

1)Nils, auf Deiner Homepage kann Dein wirklich interessanter Lebenslauf nachgelesen werden. Besonders Deine Berufswünsche als Grundschüler („Raketenanzünder bei der NASA“) und etwas später als Gymnasiast („Monsterfilmregisseur“), scheinen exakt den Grundstein für Deine beiden Romane „Athos 2643“ und „Kernschatten“ gelegt zu haben. Wie bist Du letztendlich dazu gekommen Romane zu schreiben?

Als Student war ich einmal in der Schweiz auf einem Dokumentarfilmfestival in der Nähe von Genf. Eines Abends lag ich in der Jugendherberge und versuchte zu schlafen. Doch die Vorstellung, die unterirdischen Tunnel des CERN würden unter der Herberge verlaufen, ließ mich lange wachliegen. Obwohl das Unsinn war – CERN war noch ganze 20 km entfernt – hatte sich der Plot von „Kernschatten“ am Tag danach in meinem Kopf festgesetzt und ließ mich nicht los, bis er aufgeschrieben war. Aus der anfänglichen Erzählung wurde schließlich ein Roman, nachdem ich Jahre später noch einmal nach Genf gefahren war, vor Ort recherchiert und gemerkt habe, wie viel Spaß es macht, aus derlei Eindrücken eine Geschichte zu stricken.

 

2) Mich hat überrascht, dass Deine beiden Romane ganz unterschiedlichen Genres angehören. „Athos 2643“ ist ein in ferner Zukunft spielender Science-Fiction, „Kernschatten“ dagegen ein geradezu klassischer Wissenschaftsthriller, der in der Gegenwart verhaftet ist. Ist das ein Zufall?

In beiden Büchern geht es um die Begegnung mit etwas sehr Fremdem. Bei „Kernschatten“ ist das die sich ausbreitende Anomalie, bei „Athos 2643“ die Perspektive der erzählenden KI, die ihre Menschenkenntnis und ihr immenses Einfühlungsvermögen für eiskalte Berechnungen einsetzt. Wir Menschen neigen dazu, uns in Fremdem gespiegelt zu sehen. Das ist ein Schutzmechanismus, der seine Wurzeln im kindlichen Animismus hat und in vielen Geschichten funktioniert. In Robert Zemeckis‘ Film „Contact“ (Achtung: Spoiler) erscheinen die Aliens, die eigentlich sehr seltsame Wesen sein müssten, am Ende in Gestalt des Vaters der Protagonistin. Dadurch schaffen sie Vertrauen und erschrecken sie nicht – und es spannt einen wunderbaren Bogen zum Beginn des Films. Aber es ist auch ein Ausweichen. In „Kernschatten“ und „Athos 2643“ versuche ich, das Fremde spürbar werden zu lassen und zu fragen: Was macht es mit uns?

 

3) „Athos 2643“ hat mich durch seine konsequente Verbindung jeweils klassischer Themen der sog. „Hard-SF„ und „Soft-SF“ beeindruckt. In beiden Bereichen geht der Roman sehr in die Tiefe und fordert dadurch die volle Aufmerksamkeit der Leser*innen. War das von vornherein so beabsichtigt oder hat sich die Komplexität erst beim Schreiben entwickelt?

Das war beabsichtigt. Künstliche Intelligenz wird uns in Zukunft immer mehr an die Grenzen unseres Verstehens treiben. Spätestens, wenn KIs Verantwortung übernehmen und über das Schicksal von Menschen entscheiden, wird ihr Tun über das hinausgehen, was wir nachvollziehen können. Schon jetzt generieren selbstlernende Systeme Algorithmen, die sogar für Expert*innen nicht mehr verständlich sind. Alles, was in „Athos 2643“ passiert, ist stringent. Aber diese Stringenz erschließt sich nur bei voller Aufmerksamkeit. Aiki Mira hat einmal gesagt: „Mit der KI erschaffen wir Aliens.“ Sie hat Recht. Der kindliche Animismus, der Glaube, sie seien wie wir, wird uns und unsere Grenzen gnadenlos vorführen.

 

4) „Athos 2643“ streift eine ganze Reihe ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Wie sah und sieht generell Deine Recherchearbeit aus?

Ich komme von der Germanistik, der Filmwissenschaft und der Theologie. Für das, was der Roman erzählt und wie er das macht, war das eine gute Ausgangsbasis. Für den „Hard-Scifi“-Anteil habe ich mit Informatikern, Physikern und Astronom*innen gesprochen – und viel gelesen. Eine erhellende Lektüre war „Turned On – Intimität und künstliche Intelligenz“ von Kate Devlin, die das Thema Mensch-Maschine-Beziehungen fabelhaft unbefangen angeht.

 

5) Die Problematik der ethischen Programmierung der Kloster-KI auf Athos weist sehr spannende Parallelen zu den von Isaac Asimov formulierten sog. „Grundregeln des Roboterdienstes“ auf. Haben Asimovs Robotergesetze oder seine Romane einen Einfluss auf Deine Arbeit gehabt?

Ja und nein. Ich kenne Asimovs Bücher, daran kommt niemand vorbei. Ich habe sie aber während des Schreibens an „Athos“ bewusst nicht mehr in die Hand genommen. Jemand hat einmal zu mir gesagt: „Alles, was du dir ausdenkst, hat schon mal jemand gedacht.“ Für das Arbeiten an einer eigenen Geschichte ist dieser Grundsatz Gift. Um nicht imitierend oder zwanghaft abgrenzend zu schreiben, hilft es mir, die Texte zu meiden, die thematisch große Überschneidungen mit den aktuellen Projekten haben.

 

6) „Kernschatten“ ist Dein Debütroman aus dem Jahr 2015, der gerade bei Klett-Cotta wieder „neu“ erschienen ist. Im Nachwort erklärst Du, dass es sich dabei um eine „überarbeitete“ Version handelt. Jetzt interessiert mich natürlich, in welchem Umfang und aus welchen Gründen der Roman überarbeitet wurde.

Das waren vornehmlich sprachliche Änderungen, ein paar davon hatten mit Genderrepräsentation zu tun. Wo „Athos 2643“ den männlichen Blick letzten Endes vorführt, ist „Kernschatten“ eher „male gaze“. Das mag mit dem Thriller-Genre zu tun haben, das traditionell stark mit Macht und Blicken arbeitet. Das Buch verrät auch sehr deutlich meine Sozialisation mit männlichen Heldenfiguren. Ich habe in der Neufassung versucht, sprachlich etwas mehr Sensibilität walten zu lassen. Aber Überarbeiten ist nicht Neuschreiben. Es gibt inzwischen Studien, die sich mit der Frage befassen, warum Frauenfiguren in Spannungsbüchern meist beim Vornamen genannt werden, Männer jedoch beim Nachnamen. Wir sind an Formulierungen gewöhnt wie: „Irina kam die Straße entlang, Noller kam ihr entgegen.“ Warum aber gehe ich beim Lesen davon aus, dass ich es wahrscheinlich mit einem Mann zu tun habe, wenn ich nur den Nachnamen lese? Im aktuellen Projekt gehe ich solche Fragen bewusster an.

 

 7) Hat sich Dein Leben als Autor über die Jahre und ganz besonders mit dem Erfolg von „Athos 2643“ verändert?

Autor zu sein, heißt ja hauptsächlich, es lange in einer stillen Stube auszuhalten. Gewissermaßen wird das Leben einsamer, je mehr es zu schreiben gibt. Das Kontrastprogramm sind jedoch die Lesungen, Conventions und Messen. Die deutsche SF-Community ist lustig, divers und sehr reflektiert. Die Begegnungen, die durch das Schreiben zustande gekommen sind, sind bereichernde Ausbrüche aus der stillen Stube.

 

8) Welche drei Bücher haben Dich geprägt?

„Die unendliche Geschichte“, „50 Fragen über Weltall“ und „Solaris“

 

9) Welche drei Bücher hast Du zuletzt gelesen?

Das großartige „Pantopia“ von Theresa Hannig. Für das aktuelle Projekt liegen die „Urwelten“ von Thomas Halliday und „Wo sind sie alle? Fünfzig Lösungen für das Fermi-Paradoxon“ von Stephen Webb neben dem Kopfkissen.

 

10) Welche Projekte stehen für Dich in näherer Zukunft an?

Ich arbeite an einem Terraforming-Roman. Das ist herausfordernd, da es World-Building im Wortsinn ist – und, nach heutigem Kenntnisstand, Unsinn.

 

Nils Westerboer, vielen Dank für dieses Interview.

 

*) Die Veröffentlichung der Fotos im Beitragstext und im „Polaroid“ des Beitragsfotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Nils Westerboer.

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