Erzählungen

John Burnside, „So etwas wie Glück“

Mit John Burnsides Erzählungssammlung „So etwas wie Glück“ bot sich mir nach einer Reihe teilweise sehr umfangreicher Romane die Gelegenheit, mich wieder einmal wesentlich kürzeren Texten zuzuwenden. Ich bin sowieso kein Freund allzu dicker Bücher. Gerade in diesem Sommer drücke ich mich erfolgreich um einige neue Wälzer namhafter angelsächsischer Autoren herum, die man als Literaturblogger eigentlich durchaus mal gelesen haben dürfte. Klar – Romane sind mehr als nur eine Geschichte und können ein ganzes Universum darstellen, aber es ist schon schwer neben dem „Reallife“ die Zeit für seitenstarke 700+ Lektüren aufzubringen. Da kam mir John Burnsides 250 Seiten leichte Sammlung gerade recht.

John Burnside, geboren 1955 in Schottland, ist ein vielfach ausgezeichneter Autor. Bekannter vor allem als Essayist und Romancier, wird er von einigen Stimmen daneben auch als einer der besten zeitgenössischen Lyriker bezeichnet. Eine wirklich bemerkenswerte Kombination. Für den vorliegenden Band „So etwas wie Glück“ hat er höchstselbst zwölf seiner Erzählungen ausgewählt, die bereits zwischen den Jahren 2000 und 2013 als Hörspiel oder in verschiedenen Sammlungen erschienen sind. Bei aller gebotenen Vorsicht würde ich diese 12 Erzählungen als Kurzgeschichten bezeichnen und falle hier gleich mit der Tür ins Haus: Jede einzelne ist ganz herausragend.

Wie bereits der Untertitel des Bandes ankündigt, sind es allesamt „Geschichten über die Liebe“. Das ist jetzt nicht unbedingt ein literarisches Alleinstellungsmerkmal und ich gehöre eigentlich zu den Lesern, die bei derart blumigen Ankündigungen das Buch im Geschäft schnell wieder zurück auf den Stapel legen. Das zwar inhaltlich passende, allerdings nahe an der Kitschgrenze balancierende Titelbild auf dem Umschlag, macht es den Käufer*innen in diesem Zusammenhang auch nicht gerade leichter. Schade, denn Burnsides Erzählungen sollte man sich auf gar keinen Fall entgegen lassen. Es sind nämlich alles andere als konventionelle Liebesgeschichten in den bekannten Herzschmerz-Konstellationen.

John Burnside, vielmehr seine Ich-Erzähler*innen berichten von den schicksalhaften Situationen und dramatischen Wendepunkten des Lebens. Es sind große und kleine Katastrophen wie Entfremdung, Krankheit, Unfall, Gewalt, Tot und Mord, mit denen sich die Protagonist*innen auseinanderzusetzen haben. Dabei stellt Burnside nicht die schrecklichen Ereignisse ins Zentrum, sondern fokussiert sich stattdessen immer auf deren Auswirkungen auf seine Figuren. Der Einschnitt, bzw. das berühmte sog. „unerhörte Ereignis“ einer Kurzgeschichte bildet eigentlich nur beiläufig den Hintergrund für die psychologisch besonders nuancierten Annäherungen an seine Figuren. Das ist erfrischend und in dieser Form sehr raffiniert gemacht.

John Burnsides Ich-Erzähler*innen sind zumeist Außenstehende, die ein ganz und gar durchschnittliche Leben führen. Sie sind bemüht, dem Schicksal ein kleines Glück abzutrotzen. Und ja, Burnside erzählt auch Geschichten über die Liebe. Erloschen, auf Abwegen, flüchtig, traurig aber niemals trostlos, ist die Liebe hier gerade in den oftmals aussichtslosen Situationen zu finden. Die „Geschichten über die Liebe“ sind alles andere als fröhlich, dafür aber tief und melancholisch.

Neben einem sehr menschlichen Blick auf die Außenseiter*innen haben mich aber vor allem die hohe lyrische Dichte der Texte und John Burnsides berührende, poetische Sprache für sich eingenommen. An dieser Stelle muss dringend auch die großartige Übersetzung aus dem Englischen von Bernhard Robben genannt werden. Bei aller Dramatik und Katastrophen zeichnen sich die Texte durch eine so wunderbare Bildersprache und einen derart herrlichen, warmen, poetischen Erzählton aus, dass sich die Lektüre allein schon aus diesen Gründen lohnt.

Noch dazu sind die Erzählungen äußerst durchdacht arrangiert.  So werden Themen, Bilder und Motive einzelner Geschichten immer wieder an anderer Stelle neu aufgegriffen und weitergeführt. Auf diese Weise entstehen Verbindungen, durch die der ganze Band, über die große Qualität seiner einzelnen Geschichten hinaus, zu einem neuen eigenständigen Ganzen wird, das mehr ist als nur die Summe seiner Teile.

Was soll ich sagen?! John Burnsides Sammlung „So etwas wie Glück“ hat mich restlos begeistert. Starke, einfühlsame und psychologisch präzise ausgearbeitete, miteinander kommunizierende Kurzgeschichten, die von den Versuchen berichten, in existenziellen Situationen das kleine Glück zu finden. Melancholisch, tief, poetisch. Große Empfehlung.

Werbung, weil kostenloses Rezensionsexemplar

  • John Burnside, Geschichten über die Liebe
  • Aus dem Englischen von Bernhard Robben
  • Hardcover, 252 Seiten
  • Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2022
  • ISBN 978-3-328-60264-4
  • Preis: 24 €
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2 Comments

  • Petra K.

    Hallo Jörg,
    wie schön, dass du nach einer etwas längeren Pause deinen Blog wieder fortführst. Aus ähnlichen Gründen, die du beschreibst, bin ich auch in der letzten Zeit zu etwas kürzeren Texten gekommen, obwohl ich eigentlich gerne zu dicken Wälzern greife. John Burnside hat mich ebenfalls restlos begeistert. Seine Erzählungen sind allesamt wunderbare Geschichten, bei denen ich mir am Ende gar nicht vorstellen konnte, dass sie für diesen Band zusammengestellt wurden und nicht genau so in dieser Reihenfolge geschrieben wurden. Sie kommunizieren gut miteinander, das Glück und die Liebe werden, anders als der Titel vermuten lässt, als äußerst fragile und vielschichtige Empfindungen dargestellt. Die Geschichten dieses Bandes haben mich ausnahmslos begeistert. Bei derart zusammengestellten Erzählbänden finden sich aus meiner Erfahrung oftmals einige wenige starke Erzählungen, von denen die restlichen Erzählungen dann deutlich abweichen. Ich bin ebenfalls an diesem Buch vorbeigegangen, weil ich sowohl das Cover als auch den Titel kitschig fand und die Erzählungen auch eher im seichten Literaturfeld verortet hätte. Ich habe das Buch erst gelesen, nachdem eine Lesefreundin es mir geschenkt hat.
    Als weitere sehr starke Autorin mit kurzen Texten kann ich dir Claire Keegan empfehlen, von der in der letzten Zeit in dem wunderbaren Steidl-Verlag zwei großartige kleine Bände erschienen sind und zuletzt bei Steidl-pocket auch ein etwas ausführlicher Erzählband, bei dem man sich allerdings ebenfalls weder vom Cover noch vom Titel abschrecken lassen sollte. (s.o.)

    • Horatio-Bücher

      Hallo Petra, vielen lieben Dank für Deine Rückmeldung. Ich freue mich sehr darüber, von Deinen ganz ähnlichen Erfahrungen mit Burnside zu lesen. Auch herzlichen Dank für den spannenden Literaturtipp! LG wünscht Horatio 🙂

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