Katrine Engberg, Wintersonne Horatio-Bücher
Kriminalroman

Katrine Engberg, „Wintersonne“

Katrine Engberg, Wintersonne – [Werbung, Rezensionsexemplar]

„Nichts schmeckt so gut wie das Unglück anderer Leute auf einem Kuchenboden aus Marzipan.“

„Wintersonne“, der aktuelle Kriminalroman der Kopenhagener Autorin Katrine Engberg, ist bereits der fünfte Fall des Kripo-Teams Jeppe Kørner & Anette Werner, und wie der Originaltitel „Isola“ bereits andeutet, wird dieses Mal nur sehr wenig in Kopenhagen ermittelt. Stattdessen führen die Ermittlungen schnell auf die, nicht nur in Dänemark äußerst beliebte, Ostsee-Ferieninsel Bornholm.

An dieser Stelle muss der Rezensent zunächst einmal gestehen, dass er bezüglich dieses Schauplatzes des Romans sicherlich voreingenommen ist. Ich hatte das Vergnügen, Bornholm in den 80er und 90er Jahren regelmäßig zu besuchen und kann behaupten, die Insel bestens zu kennen. Das muss bei einer Buchvorstellung aber nicht unbedingt von Nachteil sein. Ein großer Sympathievorschuss für den Roman ist allerdings ganz klar gegeben.

„Wintersonne“ beginnt mit einem Schocker. In Kopenhagen wird eine halbe zersägte Leiche, verpackt in einem Koffer gefunden. Nichts für schwache Nerven. Anette Werner nimmt die Ermittlungen auf. Schon die ersten Spuren weisen nach Bornholm. Da trifft es sich gut, dass ihr Kollege und Freund Jeppe Kørner dort gerade eine Auszeit vom Polizeidienst nimmt. Nach einer privaten Trennung versucht er alles hinter sich zu lassen und arbeitet auf der Insel als Waldarbeiter. Natürlich lässt er sich in die Bornholmer-Mordermittlungen einspannen und findet sich schon bald mitten im Geschehen wieder.

Auch Jeppes Kopenhagener Bekannte Esther de Laurenti hält sich derweil auf der Insel auf. Sie verfasst gerade ein Buch über die verstorbene Anthropologin Margarethe Dybris und wohnt zusammen mit deren Tochter im Haus der Familie. Beim Sichten des Archivmaterials stößt sie auf ein Bündel alter Briefe, die Margarethe Dybris an ihre Schwester geschrieben hat. Schon die ersten Briefe offenbaren, dass die Vergangenheit der Familie irgendwie mit dem grausamen Mord in Verbindung zu stehen scheint.

Wir lernen Bornholm im November kennen. Dies ist die Zeit jenseits der großen Touristenströme, die die Insel im Sommer regelmäßig bevölkern. Die Handlung des Romans beschränkt sich auf nur eine einzige Woche. Bornholm ist entvölkert und die Einheimischen können sich auf ihr eigenes Leben konzentrieren. Es ist Winter. Ausladend, rau und düster präsentiert sich die Insel. Sturm liegt in der Luft. Keine schlecht gewählte Atmosphäre für einen Kriminalroman.

„Möglicherweise sind die Bornholmer Sommer paradiesisch, aber die Winter sind dafür die Hölle. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, fühle mich zwischendurch aber noch immer wie eine Figur auf einem Gemälde von Hieronymus Bosch. (…) Wir werden sonderbar, wenn die Dunkelheit kommt. Sonderbare, mürrische Inselbewohner, wir lassen unsere Geheimnisse aus den Kellern kriechen und die Wohnzimmer in Beschlag nehmen.“

Der Roman ist geschickt aufgebaut. Die in der Gegenwart angesiedelte Handlung wird immer wieder durch Ester de Laurentis Brief-Lektüren unterbrochen. Stück für Stück, zurückreichend bis in die 70er Jahre, erfahren wir auf diese Weise langsam immer mehr über die Vergangenheit der Familie Dybris und ihre Verbindungen zu den aktuellen Geschehnissen. Das ist sehr gut gelöst und auch spannend gemacht.

Die Insel Bornholm verfügt über eine einzigartige Landschaft. Der Norden wird dominiert von einer schroffen, bis zu 40 Meter hohen Steilküste aus Granit, und hoch oben, von weitem sichtbar, thront über alledem die alte, eindrucksvolle mittelalterliche Burgruine „Hammershus“. In der Mitte Bornholms liegt Almindingen, mit seinen Wäldern und Seen eines der größten Waldgebiete Dänemarks und das grüne Herz der Insel. Den südlichen Abschluss bildet die große, ganz den freien Kräften der Natur überlassene Küstendüne Dueodde. Ihr feiner weißer Sanduhr-Sand ist einzigartig. Dazu eine überaus reichhaltige Geschichte menschlicher Besiedlung seit 8000 v.Chr. bis heute. Jägergruppen, Wikinger, Hanse, Schweden, Besatzung, Drehkreuz für Flüchtlinge im 2. Weltkrieg und vieles mehr. Überall auf der Insel sind zudem die alten Sagen lebendig, von den Unterirdischen, den neckischen Schutzgeistern, die der Bevölkerung Streiche spielen. Welch ein wunderbarer Schauplatz!

Umso mehr verwundert es, dass Katrine Engberg nicht aus diesen reichhaltigen Möglichkeiten schöpft. Obwohl die Ermittlungen die Beteiligten kreuz und quer über die Insel führen, beschränkt sich die Verbindung des Romans zu Bornholm lediglich auf gelegentliche Erwähnungen einzelner Ortsnahmen. Dadurch wirkt der Roman etwas beliebig. Tatsächlich könnte „Wintersonne“ problemlos überall in der dänischen Provinz spielen.

Es bleibt der handwerklich gut erzählte Plot. Geschickt spinnt Katrine Engberg ein komplexes Netz an Verdächtigen. Zahlreiche, sehr überzeugend angelegte Charaktere bevölkern den Roman und alle sind irgendwie verdächtig. Auch wenn die Umstände um die zersägte Leiche im Koffer schockierend sind, bewegt sich der Kriminalroman ansonsten in weniger drastischen Bahnen. Stattdessen wird durchaus kritisch das Leben an den Randbereichen der Bornholmer Gesellschaft beleuchtet. Die Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen auf der Insel ist eine der stärkeren Seiten des Romans.

Die Ermittlungen gestalten sich spannend und abwechslungsreich. Dazu ein sympathisches Ermittlerteam und interessante Reminiszenzen an den amerikanischen Autor Ed McBain. Alles durchaus stimmig, und natürlich bleibt bis zum gelungenen Schluss offen, was genau passiert und wer der oder die Täter*in ist. „Wintersonne“ ist ein gut inszenierter Kriminalroman.

So ist es wohl die besondere Stärke des Romans, dass er keine größeren Schwächen hat. Gut und spannend erzählt und alles an seinem Platz. „Wintersonne“ ist ein unterhaltsamer skandinavischer Kriminalroman. Gelungen, aber nicht herausragend.

      • Katrin Engberg, Wintersonne
      • Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
      • OA: „Isola“, 2020
      • Hardcover, 431 Seiten
      • Diogenes Verlag AG, Zürich, 2022
      • ISBN 978-3-257-07204-4
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