Computer/Gaming,  Fantasy

Manuel Schmitt, „Godmode“

Ausgefallenes Szenario, ausgefallene Gestaltung, ausgefallener Titel

„Godmode“, der Debütroman des Autors Manuell Schmitt, ist ein Roman mitten aus der Gaming-Community. Das klingt nicht nur nach Spezialmaterie, ist es auch! Noch dazu von einem Autor, der (so lautet der Verlagstext) „als Absolvent der Kunsthochschule für Medien in Köln an eigenen Computerspiel-Projekten arbeitet, mit den YouTube-Stars Gronkh und Sarazar die Webserie Let`s Play Together leitete und selbst auf YouTube unter dem Pseudonym SgtRumpel bekannt ist“. In Anbetracht dieser Referenzen fühle ich mich als Literaturblogger gleich zu Beginn meines Beitrags genötigt, meine eigenen Qualifikationen als Rezensent eines Gaming-Romans anzusprechen. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich mich, trotz aller professioneller Juristerei und freizeitlicher Beschäftigung mit Literatur, durchaus als „Nerd“ und „Gamer“ bezeichnen würde. Genauer gesagt als „Gamer der ersten Stunde“, der von „Pong“ bis „Diablo Immortal“ seit den 1970er Jahren wohl die wesentlichen Titel der Videospiel-Historie auf verschiedensten Plattformen selbst miterlebt und gespielt hat. Nicht wenige davon sind auch zwischen den Buchdeckeln von „Godmode“ zu finden.

 

„Die alten Spiele waren für ihn, was das Silmarillion für Herr-der-Ringe-Fans war: Sie vermittelten ihm ein Verständnis für die Evolution der Videospiele, zeigten ihm die Hintergründe und Zusammenhänge auf.“

 

Vor diesem Hintergrund war ich natürlich ausgesprochen erfreut, auf dem Twitter-Account der Lektorin des Romans Kerstin Fricke, auf ein Foto dieses originell gestalteten Romans zu stoßen. Ein Buch in Form einer Handheld-Konsole, mit Bildschirm und Controllern. Sehr eng dem „Game Boy Classic“ nachempfunden, den ich natürlich auch gespielt und im Keller liegen habe. Wirklich ein ausgefallenes und witziges Buchdesign! Dazu dann noch der für Gamer*innen elektrisierende Titel „Godmode“ („Gott-Modus“), ursprünglich der Begriff für einen speziellen Entwickler-Cheatcode, der die Verwender*innen unverwundbar macht und normalerweise dazu diente, das Spiel zu testen und einzustellen. Chapeau und ganz klar, dieses verheißungsvolle Paket musste ich haben!

 

Dann die Ernüchterung

Zu meinem großen Bedauern, erwiess sich die Lektüre des Romans allerdings recht schnell als weitaus weniger verheißungsvoll. Manuel Schmitts Roman teilt das gleiche Schicksal so vieler anderer Vertreter des Genres, bei denen die literarische Qualität nicht ansatzweise mit der ausgefallenen Buchgestaltung und dem interessanten Szenario mithalten kann.

Die Handlung des Romans ist in wenigen Sätzen erzählt. Der weltberühmte Profi E-Sportler Neil Desmond wird irgendwie in eine andere Realität geworfen, die keinerlei Videospiele kennt und in der Computer lediglich zur Datenverarbeitung verwendet werden. Desmond nutzt seine imposanten Kenntnisse über die Entwicklung von Games und die Fortschritte der Videospielindustrie, um das Gaming auch in der alternativen Welt einzuführen, groß zu machen und dabei einen Haufen Geld zu verdienen. Seine alten Freund*innen stehen ihm dabei mehr oder weniger zur Seite, in dieser Realität jedoch in völlig anderen Rollen. Ansonsten das Übliche. Es gibt sympathische Freunde, einen fiesen Gegenspieler und der Held lässt sich von Ruhm und Geld verführen. Zu Beginn der Geschichte ist Neil ein unsympathischer Zeitgenosse, am Ende zeigt er sich geläutert und ist zu einem Guten geworden. Dazwischen ein bisschen hin und her.

Leider wird die schlichte Geschichte dann auch noch uninspiriert und gradlinig heruntererzählt. Irgendwelche besonderen Ansprüche an Aufbau und Sprache sind nicht zu erkennen.

Genauso übersichtlich wie Handlung, Aufbau und Sprache des Romans sind leider auch Manuel Schmitts Figuren geraten. Statt ausgearbeiteter Charaktere gibt es lediglich stichwortgebende Komparsen und selbst der Protagonist Neil Desmond ist völlig schablonenhaft und zweidimensional angelegt. Abgesehen von seinem klischeehaften Wandel vom arroganten Egoisten zum menschlichen Teamplayer, sind bei ihm keinerlei Konflikte oder Entwicklungen zu vermerken.

Dabei hätte schon ein kleiner Blick über den Tellerrand genügt, um sich inspirieren zu lassen und zu erkennen, welche vielfältigen Möglichkeiten der Stoff einer alternativen Realität eigentlich zu bieten hat. Schon nach der Lektüre des Klappentextes hatte sich mir der Vergleich zu der 2019 in die Kinos gekommenen britischen Filmkomödie „Yesterday“ geradezu aufgedrängt. In dem bezaubernden Film wird der Ausgangsfrage nachgegangen, was wäre, wenn es die Beatles und ihre Songs nie gegeben hätte. Das ist quasi das gleiche Szenario wie in „Godmode“, und obwohl es sich bei „Yesterday“ lediglich um einen Film handelt, erweist sich dessen Umsetzung als weitaus inspirierter, vielschichtiger und charmanter. Als Roman verschenkt „Godmode“ einfach zu viele Möglichkeiten und hat auch literarisch nichts zu bieten.

 

Das Buch rührt das Gamer*innenherz

Dass es „Godmode“ dann doch (wenn auch sehr knapp!) auf meinen Blog geschafft hat, ist allein dem Zusatz zu verdanken, den der Verlag auf das Buchcover gedruckt hat. Dort wurde dem Begriff „Roman“ das Wort „Gaming-„ vorangestellt. Das ändert dann doch noch etwas, denn „Godmode“ soll nicht nur ein Roman sein, sondern zusätzlich auch „eine Hommage an die Hits der Videospielgeschichte und an das Gaming an sich“ darstellen. Eine Einschätzung, mit der ich mich durchaus noch anfreunden kann.

Zwischen den Buchdeckeln sind tatsächlich eine Menge Hits und Klassiker der Videospielgeschichte zu finden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Titeln der „Nach-Brotkasten-Zeit“, die ganz im Zentrum des Geschehens stehen. Pong, Space Invaders, Donkey Kong, Street Fighter, Doom, Diablo, Mario Kart, Half-Life, Call of Duty, Angry Birds, Pokémon, Battlefield, Uncharted, Fortnite, Minecraft, Diablo Immortal, usw., usw. Neil Desmond kennt sie alle und bringt sie innerhalb eines einzigen Jahres auf den Markt der alternativen Realität. Für Retro-Gamer wie mich, ist es eine Freude, hier die alten Bekannten wiederzutreffen und die Umstände ihrer Entwicklung im Zeitraffer erneut miterleben zu können. Mit seinem Wissen ist Neil Desmond in der alternativen Realität ein Superstar, ein wahrhafter „Videospiel-Prophet“. Das ist durchaus witzig und amüsant zu lesen, so dass der Roman dann zumindest noch seinen besonderen Gaming-Charme ausspielen kann.

 

„Und nur ich weiß, was noch alles möglich ist. Nur ich weiß, was noch kommen wird. Ich kann in die verdammte Zukunft sehen, dachte Neil.“

 

Neben den alten Herzensspielen gibt es zudem noch einiges mehr zu entdecken: Das Erfolgsrezept von Shigeru Miyamoto, die Doom-Engine als 2,5D Täuschung, John Romeros und John Carmacks „Knee-deep in the Dead“ Shareware-Idee, das F2P Spielprinzip, der Beginn des eSports, usw. Dazu gesellen sich noch einige schöne Easter Eggs. Einfach gesagt, „Godmode“ rührt das Gamer*innenherz. Die laue und aus literarischer Sicht enttäuschende Geschichte wird auf diese Weise letztendlich doch noch zu einer rührenden Hommage an das Videospiel. Das muss man dem Buch zugutehalten.

 

„Es passierte alles so schnell! In dieser Welt existierten Smartphones, schnelle Internetverbindungen und – zugegebenermaßen teure – 32 Bit-Computer. Die Welt jagte in Riesensätzen durch die Geschichte der Videospiele, und Neil hatte das Gefühl, den Überblick zu verlieren.“

 

Wer soll das lesen?

Bleibt noch die für das sehr spezielle Genre typische Frage, wer das Buch eigentlich lesen soll?!  Was soll ich sagen, Godmode“ ist Spezialmaterie für Nerds. Und selbst unter denen richtet es sich noch einmal an die spezielle Community der Retro-Gamer*innen. Diese werden den „Weißt-Du-noch?“-Effekt genießen und Spaß an den alten Geschichten und Anekdoten haben. Schon einfache Gelegenheitsspieler*innen werden jedoch nicht besonders viel mit dem Roman anfangen können. Dies umso weniger, als die ja durchaus interessanten Geschichten der Spiele und Informationen zu deren Technik, Entwicklung und Marketing letztendlich immer nur an der Oberfläche bleiben. Denjenigen, die wirklich etwas über die Geschichte des Videospiels in Erfahrung bringen möchten, hilft „Godmode“ nicht weiter. Hier hätte ich mir gewünscht, Manuel Schmitt hätte weitaus mehr und detaillierteren Hintergrund präsentiert.

 

 Was bleibt!

Als Roman bleibt „Godmode“ gänzlich hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das Buch ist Spezialmaterie mit „Weißt-Du-noch?“-Effekt, die das Herz von „Retro-Gamer*innen“ erwärmt. Positiv, bunt und charmant. Eine reine Nerdsache.

 

„Computerspiele sind so vielfältig, wie die Menschen, die sie erschaffen. Es gibt ganz einfache Spiele, die nur mit ein paar animierten Strichen auskommen. Und dann gibt es hochkomplexe Spiele, die ganze Ökosysteme enthalten, in denen du dich verlieren kannst, Abenteuer erlebst, zum Helden aufsteigst und vielleicht die ganze Welt rettest.“

Werbung, weil kostenloses Rezensionsexemplar

  • Manuel Schmitt, Godmode
  • Hardcover, 322 Seiten
  • Knauer Verlag, 2023
  • ISBN 978-3-426-22794-7
  • Preis: 16,99 €
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