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Belletristik

Mariana Leky, „Kummer aller Art“

In Mariana Lekys kleinem, lediglich 170 Seiten schmalen Büchlein „Kummer aller Art“, habe ich rekordverdächtig viele Markierungen hinterlassen. Passagen, die ich gelungen, geistreich, gut beobachtet, amüsant, rührend oder einfach nur erwähnenswert finde. Ganz offensichtlich hat mich „Kummer aller Art“ besonders berührt. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Gerne möchte ich näher davon berichten.

„Kummer aller Art“ ist eine Sammlung literarischer Kolumnen, die erstmals in dem Magazin „Psychologie Heute“ erschienen sind. Allesamt knappe, zumeist nur drei bis vier Seiten lange Texte. Kleine bescheidene, aber überaus präzise Beobachtungen aus dem Alltag.

Einsamkeit, Flugangst, Schlaflosigkeit, Abschied, aber auch Schlüsseldienste, Überraschungspartys und Zugverspätungen, stehen im Zentrum der wunderbar ausgewählten Episoden. Mariana Lekis „Kolumnistinnen-Ich“ erzählt mitten aus dem Leben.

Da ist die Nachbarin Frau Wiese. Zusammen sind sie die „Expertinnen-in Schlaflosigkeit“ und sitzen des Nachts im Treppenhaus auf den Stufen, um sich über das Schäfchenzählen auszutauschen.

„Für den Fall von Schlaflosigkeit sollte man immer Lektüre zu Themen auf dem Nachttisch haben, die man irrsinnig langweilig findet. >Was wäre das in Ihrem Fall?<, fragte mich Frau Wiese, und ich sagte: >Guppys und Tiefbau.<“

Oder der freundliche Nachbar Herr Pohl, der „sich mit Traurigkeiten auskennt“ und der Kolumnistin mit seinem Zwergpinscher Lori ein guter Freund geworden ist. Ein guter Zuhörer mit dem sie sich über den Liebeskummer ihrer Patentochter Lisa beraten kann.

„>Ich müsste noch Futter für Lori besorgen<, sagt er, >möchten Sie mit Lisa?< Ich schaue Lisa an, Lisa nickt. Man kann Lisas Kummer nicht mit Ablenkung oder Argumenten, mit Abwimmeln oder Begrüßungspartys beikommen, man kann ihn nur, wo er schon mal da ist, mitnehmen in das vorerst weitergehende Leben, und warum sollte sich das nicht die nächste Stunde in einer Zoohandlung abspielen.“

Erlebnisse in der Schlange der Bahnhofsbäckerei, in der das Kolumnistinnen-Ich völlig unvermittelt vom fünfjährigen Patenkind Ben mit der Frage überrumpelt wird: „Wie fangen eigentlich Kriege an?“. Oder der Mann vom Schlüsseldienst, der sich trotz aller Warnungen dann doch nicht als Serienkiller herausstellt, sondern stattdessen sehr nett und freundlich ist.

„>Guten Morgen! Kalscheuer mein Name<, schmettert der Mann vom Schlüsseldienst uns entgegen. Er sieht kein bisschen aus wie Elmar, sondern wie eine Mischung aus Peter Handke und Peter Lustig, und er legt eine verzweifelte Munterkeit an den Tag, wie ein Dozent, der weiß, dass alle Teilnehmer seiner Veranstaltung nicht aus Interesse, sondern wegen Prüfungsrelevanz belegt habe.“

Die „Kummer aller Art“ sind gar nicht so betrüblich oder gar beunruhigend, wie es der Begriff eigentlich nahelegt. Keine Katastrophen, Traumata oder Unglücke. Mariana Leky erzählt von den einfachen kleinen Hürden, Merkwürdigkeiten und Lektionen des Lebens, nicht von Dingen, die am nächsten Morgen in der Zeitung stehen.

Leise Melancholie liegt in der Luft, die jedoch nie ins Düstere oder Hoffnungslose abgleitet. Bei Marian Leky treffen Menschen aufeinander, erzählen, kümmern sich, hören zu, streiten und trösten. Kleine Schicksalsgemeinschaften. Ihr Kolumnistinnen-Ich tritt immer empathisch und respektvoll in Kontakt. Eine große Menschlichkeit und Würde zeichnet die Begegnungen aus.

Trotz vorherrschendem „Kummer aller Art“ sind es positive, ja tröstende Texte, die weder ins kitschige abgleiten noch wirken wie Selbsthilfeliteratur. Dazu sind sie zu raffiniert gemacht. Größere Rührseligkeiten werden an der richtigen Stelle gebrochen, drohende Plattitüden durch perfekt getimten Witz relativiert und allzu vorhersehbare Ereignisse mittels überraschender Wendungen entschärft. Alles erzählt in einem ruhigen, unaufgeregten Ton.

„Meine Mutter entrümpelt ihr Haus und drückt mir eine Kiste in die Arme, auf der >Kindersachen< steht. Ich vermute Playmobil, aber die Kiste ist voll mit Morton Harket.“

„Kummer aller Art“ entfaltet eine Sogwirkung. Die Kolumnen sind ein Genuss. Man kann das Buch nur sehr schwer aus der Hand legen, zu sehr verführen die knappen, exakt getimten Episoden zum Weiterlesen. Ein sehr besonderes Buch, dem ich wünsche, dass es eine breite Leserschaft finden wird.

 

Mariana Leky, Kummer aller Art

OA 2022

eBook, 170 Seiten

DuMont Buchverlag, Köln

ISBN eBook 978-3-8321-8261-8

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