Kriminalroman,  Thriller

Jane Harper, „Der Sturm“

Das auffallende Buchcover hatte mich auf Jane Harpers Thriller „Der Sturm“ aufmerksam gemacht. Ein schroffes Kliff, von Gischt sprühender Brandung umtost. Eine beeindruckende, dynamische Naturfotografie. Wie sich später herausstellt auch noch mit unmittelbarem Bezug zur Handlung des Romans. Sehr gelungen. Verheißungsvoll.

Zwölf Jahre nachdem der verhängnisvolle Sturm sein Leben aus der Bahn geworfen hat, kehrt Kieran Elliott in seinen, an der Südküste Tasmaniens gelegenen, Geburtsort Evelyn Bay zurück. Zusammen mit seiner, ebenfalls aus Evelyn Bay stammenden Freundin Mia hat er fernab ein neues Leben angefangen. Zurück in der Heimat, bei seinen Eltern und alten Freunden, brechen jedoch alte Verwundungen wieder auf.

Ein schwerer Sturm hatte vor zwölf Jahren nicht nur den kleinen Ort Evelyn Bay verwüstet, sondern auch in den Leben vieler Menschen schwere Verletzungen hinterlassen. Damals im Sturm war Kieran an der Steilküste des Ortes in Not geraten. Sein älterer Bruder Finn und dessen Freund Toby hatten mit ihrem Boot einen Rettungsversuch unternommen und waren dabei ums Leben gekommen. Zu allem Unglück verschwand auch noch die vierzehnjährige Gabby, Mias beste Freundin, während des Sturms unter nie geklärten Umständen.

Kieran, der die Last der Schuld am Tod seines Bruders und Tobys immer noch auf seinen Schultern trägt, trifft bei seiner Rückkehr auf die Freunde und Bekanntschaften aus seiner Jugend. Obwohl viel Zeit vergangen ist, sind die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit immer noch allgegenwärtig und nicht allein seine Eltern scheinen ihn für Finns und Tobys Tod verantwortlich zu machen. Gleich in der ersten Nacht werden Kieran und Mia fast überfahren. Und dann wird am Morgen darauf, auch noch die Leiche der jungen Kunststudentin Bronte am Strand von Evelyn Bay angespült…

Die aus Manchester stammende australische Schriftstellerin Jane Harper ist eine etablierte Bestsellerautorin, die bereits vier erfolgreiche Thriller veröffentlicht hat. „Der Sturm“, englischer Originaltitel „The Survivors“, wird vom deutschen Verlag wohl aus diesem Grund ebenfalls ausdrücklich als Thriller eingeordnet und beworben. Und damit wäre ich auch schon beim wesentlichen Problem des Romans: Jane Harpers „Der Sturm“ ist ganz eindeutig kein Thriller.

Die Autorin erzählt die Geschichte zweier Verbrechen, dem Verschwinden der vierzehnjährigen Gabby während des Sturms und dem Tod der jungen Kunststudentin am Tag nach Kierans Ankunft. Beide Ereignisse stehen irgendwie in Verbindung zum kleinen Küstenort Evelyn Bay und auch zum unmittelbaren Umfeld des Protagonisten und Erzählers Kieran Elliott. Konsequenterweise beschränkt sich das Setting nur auf wenige Schauplätze: Den Strand und die Felsküste am Ort, das Lokal „Surf and Turf“ und die Wohnungen der ungefähr ein Dutzend Hauptcharaktere. Mehr Platz benötigt die Autorin nicht, um ein immer dichter werdendes Netz an Beziehungen, Täuschungen und Verdächtigungen zu weben.

Hier liegt auch klar der Schwerpunkt und die Stärke des Romans. Gemächlich, mit viel Liebe zum Detail, bringt uns die Autorin ihre Figuren näher. Alle kennen sich bereits seit ihrer Kindheit und jede*r ist auf irgendeine Art und Weise mit den anderen verbunden. Schritt für Schritt tauchen wir ein, in ihre Beziehungen zueinander und erfahren, was sie damals während des Sturms und auch aktuell, in der Nacht des Todes der Kunststudentin, erlebten. Und je mehr wir erfahren, desto größer werden die Lücken und Ungereimtheiten in den Geschichten der Beteiligten. Immer neue Verdachtsmomente ergeben sich und am Ende könnte es Jede*r gewesen sein.

Die geradezu klassische Konstellation eines „Whodunit“ Krimis. Komplex konzipiert und gekonnt auserzählt. Bis zum Finale wächst die Neugierde, was damals tatsächlich im Sturm geschehen ist und inwiefern eine Verbindung zu den aktuellen Geschehnissen bestehen könnte. Die Ermittlungen der Polizei sind interessant. Als Kriminalroman ist „Der Sturm“ gelungen.

Diese ruhige und souveräne Entwicklung des Plots, geht allerdings klar zu Lasten der Spannung. Diese will in „Der Sturm“ nicht so richtig aufkommen. Zu gemächlich wird die Geschichte erzählt. Auf besondere Action und Cliffhanger wird weitestgehend verzichtet und bis zum überzeugenden, wenn auch nicht gerade packenden, Finale fehlt es dem Roman einfach an Dynamik und unerwarteten Ereignissen. Ganz sicher kein Pageturner. Die Auflösung der Geschehnisse ist zwar überzeugend und interessant, aber so richtig rasant und ergreifend ist das alles nicht. Die unverständliche Einordnung von Seiten des Verlags als „Thriller“, tut dem Roman wirklich überhaupt keinen Gefallen!

Zudem stellt sich für mich die Frage, warum die Autorin, der von ihr immer wieder angedeuteten spektakulären Naturkulisse des Ortes Evelyn Bay, keinerlei nähere Aufmerksamkeit schenkt. Bis auf das für den Plot absolut Erforderliche, erfahren die Leser*innen nichts über die sicherlich spannende südtasmanische Natur und Küstenlandschaft. Der Roman könnte überall auf der Welt spielen. Das dynamische, verheißungsvolle Buchcover führt hier leider ins Leere. Ein großes Versäumnis.

Was bleibt ist ein gekonnt und routiniert erzählter Kriminalroman, der sich leider als Thriller ausgibt. Ein durchaus unterhaltsamer „Whodunit“, für Freund*innen kniffliger und gut ausgearbeiteter Plots zu empfehlen.

      • Jane Harper, Der Sturm
      • Aus dem Englischen von Matthias Frings
      • OA: „The Survivors“ 2021, Deutsche Erstausgabe 2022
      • eBook 393 Seiten
      • Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin
      • ISBN 978-3-8412-3042-3
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