Phillip P. Peterson, „Universum“
Es ist nicht ganz einfach, Phillip P. Petersons Roman „Universum“ gerecht zu werden, lässt sich die komplette Handlung doch recht gut in nur drei Sätzen zusammenfassen: In naher Zukunft verlässt eine kleine Gruppe Siedler die Erde, um in einem weit entfernten Sonnensystem namens Omicron-3 eine Kolonie zu gründen. Während des Überlichtflugs haben sie mit dramatischen technischen Problemen zu kämpfen. Statt ans Ziel, gelangen Raumschiff und Insassen an die Grenzen der Physik. Bis auf einige kleinere Wendungen, ist das bereits die ganze Geschichte des Romans, der im Grunde darauf angelegt ist, lediglich ein einzelnes Szenario durchzuspielen: Die Überwindung kosmischer Distanzen mittels überlichtschneller Fortbewegung.
„Universum“ ist ein Roman der sog. „Hard-Science-Fiction“. Dieses Subgenre folgt der ursprünglichen naturwissenschaftlich positivistischen Tradition der Science-Fiction. Plot und Universum sollen auf wissenschaftlichen oder zumindest pseudowissenschaftlichen Grundlagen beruhen und entsprechend rational nachvollziehbar sein. Im Gegensatz dazu stehen die eher geistes- bzw. sozialwissenschaftlich orientierten „Soft-Science-Fiction“, sowie die immer häufiger anzutreffende sog. „Science-Fantasy“.
Der klar wissenschaftliche, realitätsnahe Ansatz des Romans „Universum“ liegt bei dem Werdegang des Autors auch relativ nahe. Phillip P. Peterson ist ein Mensch der Wissenschaft und absolut vom Fach. Studium der Luft- und Raumfahrttechnik, sowie der Nuclear Applications. Später am Forschungsreaktor Jülich und als Ingenieur beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt tätig, wo er an zukünftigen Trägerraketenkonzepten und im Management von Satellitenprogrammen arbeitete. Seit der Veröffentlichung einiger sehr erfolgreicher Romane konzentriert er sich ganz auf seine Tätigkeit als Schriftsteller.
Entsprechend fundiert und spannend ist auch der wissenschaftliche Hintergrund des Romans geraten. Schon die Funktionsweise des überlichtschnellen Antriebs des Raumschiffs ist Gegenstand ausführlicher physikalischer Erklärungen. Es folgen faszinierende Gedanken und Thesen aus den Bereichen Atom- und Astrophysik zur Relativität von Zeit und Raum, bis hin zu Spekulationen über die Beschaffenheit und Ursprünge des Universums. Für die Freunde /-innen der Hard-SF sicherlich nicht immer ganz neue Themen, aber ungeheuer interessant und raffiniert erzählt. Ganz sicher Grund genug, diesen Roman zu lesen.
Auf literarischem Terrain vermag „Universum“ jedoch nicht zu überzeugen. Zunächst das Positive: Der Roman ist ein Pageturner. Schnell entwickeln sich auf Seiten der Lesenden Sympathien bezüglich der Hauptcharaktere, die in eine offensichtlich aussichtlose Situation geraten sind. Zusammen mit einer ausgesprochen handlungsorientierten, geradlinigen Erzählweise wird bis zum Schluss die Spannung hochgehalten, so dass eigentlich nie Langeweile entsteht und der Roman schnell zu Ende gelesen ist.
Leider sind sämtliche Charaktere vollkommen eindimensional und holzschnittartig geraten. Die Hauptperson des Romans, ein ehemaliger Bomberpilot, hat eigentlich eine unermessliche Schuld auf sich geladen, ist aber bis auf ein, zwei, vordergründige Selbstzweifel und Wutausbrüche, ein rundherum netter und kompetenter Charakter, der einem nur noch ans Herz wachsen kann. Weiter gibt es einen etwas schwer erträglichen, aber äußerst fähigen Bordingenieur; eine Kommandantin mit eingeschränkten sozialen Fähigkeiten; einen genialen, aber seltsamen deutschen Reaktortechniker; natürlich einige tapfere Soldaten; einen dubiosen tätowierten Gefangenen; harmlose Siedler; usw. Leider alles völlig eindimensionale und vorhersehbare Figuren ohne besondere Schattierungen. Alle meinen es irgendwie gut, funktionieren und haben das Herz am rechten Fleck. Gelegentliche Konflikte werden lediglich schnell und oberflächlich abgehandelt. Hier wurde zu viel liegengelassen: Die Last der ungeheuren Schuld des Bomberpiloten; die Verantwortung von Eltern im Angesicht des drohenden Todes der Familie; die Grenzen von Befehl und Gehorsam bei Soldaten weit abseits jeder Zivilisation; Gruppendynamik anlässlich des nahenden Endes lebenswichtiger Ressourcen und einiges mehr. Stattdessen erleben wir Charaktere als harmlose Klischees, ohne besondere Tiefe, überzeugende Zwischentöne und Überraschungen.
Daneben verzichtet der Roman leider auch weitestgehend auf einen überzeugenden Weltenbau im Hintergrund. Abgesehen von einigen vagen Andeutungen über einen großen interplanetarischen Krieg mit Millionen von Toten, erfahren die Leser praktisch nichts weiter über den historischen, politischen und sozialen Kontext, in dem dieses technisch-wissenschaftliche Kammerspiel angesiedelt ist. Hintergrund nur soweit unbedingt für die Handlung erforderlich.
Als purer „Hard-Science-Fiction“ ist der Roman wiederum hervorragend gemacht. Die durchgängig spannende und nachvollziehbare Handlung führt geschickt immer weiter an das Ende der bekannten Physik heran und eröffnet den Lesenden wirklich faszinierende Einblicke bis über die Grenzen des Vorstellbaren hinaus. Viel Platz und Anregung für eigene Gedanken. Großartig!
Trotz erheblicher Unzulänglichkeiten ist „Universum“ von Phillip P. Peterson ein spannender, faszinierender Roman speziell für wissenschaftsbegeisterte Science-Fiction Fans. Viel Action für Nerds und bis zum Schluss ein Pageturner.
Phillip P. Peterson, Universum
Paperback, 442 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH, (FISCHER TOR), Frankfurt am Main
Deutsche Erstausgabe 2021
ISBN 978-3-596-70086-8