Kriminalroman

Robert B. Parker „Das dunkle Paradies“

Am Rand des Kontinents, nicht weit vom unteren Ende des Wilshire Boulevards und direkt oberhalb des Santa Monica Beachs, lehnte Jesse Stone im Dunkeln am Geländer und starrte ins Nichts, während unter ihm der schwarze Ozean in Richtung Japan davonrollte.

Robert B. Parkers Krimi-Reihe um Jesse Stone, den Polizeichef der kleinen Ostküstenstadt Paradise, beginnt an der Westküste in L.A. Und es ist ein erster Satz, wie er treffender gar nicht sein könnte. Knapp, schnörkellos und auf das Wesentliche reduziert, beginnt hier eine geradezu klassische Reihe der Gattung Hardboiled-Krimi. Gleichzeitig zeugt dieser erste Satz von Sehnsucht, Dunkelheit und Einsamkeit. Ein Versprechen, das auch eingehalten wird.

Es kann sehr befreiend sein, von Zeit zu Zeit einen geradlinigen, actiongeladenen Krimi zu lesen, der einen toughen Ermittler hat und ohne große Umschweife unmittelbar auf den Punkt geschrieben ist. Wenn er daneben auch noch eine gewisse Tiefe aufweist, dann ist gute Unterhaltung garantiert.

Kurz zur Einordnung der sogenannten „Hardboiled-Krimis“: Man kann das Genre Kriminalliteratur ganz grob in die Subgenres Whodunit, Hardboiled, Thriller und Noir einteilen (die Oberflächlichkeit dieser Einteilung sei mir bitte verziehen). Während im Whodunit die intellektuelle Herausforderung und der Gang der Falllösung im Vordergrund stehen und die Ermittler im Noir Krimi regelmäßig ein schicksalhaftes, düsteres Ende erleiden, geht es im Hardboiled Krimi direkt und ohne große Umschweife zur Sache. Im Zentrum steht meist ein tougher Ermittler. Der Plot ist klar handlungsorientiert und wird ohne verwickelte Handlungsstränge oder Ausarbeitung von Nebencharakteren direkt auf den Punkt erzählt. Darin unterscheidet sich der Hardboiled-Krimi auch vom Thriller. Letzterer ist wesentlich breiter angelegt und weist verwinkelte, umfangreich und anspruchsvoll angelegte Plots auf.

Jesse Stone ist der Star in Robert B. Parkers Hardboiled Krimireihe und gleich zu Beginn des Auftaktromans „Das dunkle Paradies“ treffen wir ihn früh morgens, kurz vor Sonnenaufgang, oberhalb des Santa Monica Beachs von LA an, während er leicht angetrunken über den dunklen Pazifik blickt. Mit vierunddreißig Jahren steht er bereits vor den Trümmern seines Lebens. Den Job als Ermittler der Mordkommission in Downtown LA hat er gerade verloren. Er ist frisch geschieden und hat sich noch dazu in ein veritables Alkoholproblem hineinmanövriert. Überdies ist das Verhältnis zu seiner Exfrau alles andere als unkompliziert. Um alldem zu entfliehen hat er die Stelle des Polizeichefs in einem Provinzstädtchen mit dem trügerischen Namen „Paradise“ angenommen. Besonderer Vorzug dieser Stelle: Paradise liegt in Massachusetts, am anderen Ende des Kontinents. Möglichst weit weg von Jenn und all seinen Problemen. Leicht angetrunken steigt Jesse in seinen Wagen und fährt über die Ocean Avenue zum Santa Monica Freeway Richtung Osten, der aufgehenden Sonne entgegen.

Jesse Stone ist ein tougher Kerl mit dem Herz am rechten Fleck. Sehr gut weiß er richtig und falsch auseinanderzuhalten. Dazu ist er extrem wortkarg, unbestechlich und sicherlich das genaue Gegenteil eines Teamplayers. Mit diesem nicht ganz unkomplizierten Eigenschaftsprofil, stellt er in der Kleinstadt Paradise von Beginn an einen Fremdkörper dar und ist den Honoratioren der Stadt zunehmend ein Dorn im Auge. Denn hinter den wohlanständigen Fassaden brodelt es. Gewalt, Drogen, Geldwäsche und Waffenhandel. Nichts ist der wohlgeordneten Gesellschaft von Paradise fremd.

Die Situation ist unübersichtlich und es kommt zu einem Mord. Wem kann er hier vertrauen? Von allen Seiten wird versucht Einfluss auf Jesse Stone zu nehmen. Schon bald wird sein Leben bedroht. Doch da sind sie bei ihm an den Falschen geraten.

„Jo Jo ist nur ein Angeber“, sagte er. „Nachts, wenn er alleine ist und nicht schlafen kann, wird ihm das manchmal für eine kurze Minute bewusst. Er weiß es. Und er weiß, dass ich es weiß.“ – „Nur ein Angeber?“ – „Klar. Natürlich ist er stark und gemein. Und das ist selbstverständlich eine üble Kombination. Aber er ist nicht wirklich ein harter Bursche.“ – „Aber Sie sind es.“ Jesse lächelte sie an. „Ja Má am. Ich bin es.“

Obwohl Jesse Stone als Polizeichef auf seine Beamte zurückgreifen könnte, ermittelt er allein auf eigene Faust und verlässt sich dabei hauptsächlich auf seinen Instinkt. Er kennt die Täter und lässt sich niemals einschüchtern. Wenn er einmal die Spur aufgenommen hat, treibt er die Täter in die Enge. Dabei geht er keiner Konfrontation aus dem Wege. Jesse Stone hat aber auch eine sehr verletzliche Seite. Neben dem Verbrechen kämpft er seinen Kampf gegen den Alkohol und die Einsamkeit. Er ist auch nicht in der Lage, den Kontakt zu seiner Exfrau Jenn abreißen lassen. In quälenden Telefonaten arbeiten die beiden sich aneinander ab. Eigentlich getrennt, zieht es sie immer wieder zueinander. Ein unbelasteter Neubeginn sieht anders aus.

Der US-amerikanische Schriftsteller Robert B. Parker (*1932 in Springfield, +2010 in Cambridge, Massachusetts) ist ein sehr produktiver und versierter Autor. Neben der, relativ kleine Jesse Stone Reihe, gilt sein Hauptwerk der umfangreichen Krimireihe um den ehemaligen Schwergewichtsboxer und Privatdetektiv „Spenser“, der in der literarischen Tradition der Hardboiled-Detektive von Raymond Chandler steht. Die Spenser-Reihe wurde Mitte der 1980er recht erfolgreich als TV-Serie verfilmt.

Auch die Jesse Stone Reihe wurde mit Tom Selleck in der Hauptrolle verfilmt. Selleck war zu dieser Zeit bereits zweiundfünfzig Jahre, also ein ganzes Stück älter als der Jesse Stone der Romane. Trotzdem ist diese Verfilmung sehr gelungen und gar nicht so weit von der Romanvorlage entfernt. Der Film Jesse Stone ist allerdings ein etwas besserer Teamplayer als der des Romans und auch sein treuer Filmhund kommt in der Romanvorlage nicht vor. Zudem erfährt man in den Filmen wesentlich mehr vom Alltag der Polizei von Paradise. Trotzdem ist die nüchterne, leicht melancholische Atmosphäre gut getroffen und auch die Verfilmung der Reihe sehr zu empfehlen.

Die gesamte Jesse Stone Reihe ist mir sehr ans Herz gewachsen. Zugegeben: Es geht hier natürlich sehr klischeehaft zu. Jesse Stone ist geradezu der Prototyp des gebrochenen Cops. Cool, tough, einsam, hartgesotten aber verletzlich. Das ist nicht besonders innovativ. Und auch seine Gegenspieler sind nicht gerade ein Ausbund an vielschichtiger Charakterzeichnung. Aber das alles ist handwerklich und sprachlich wirklich äußerst gut gemacht. Eins passt hier zum anderen und insgesamt ergibt sich ein wunderbarer, stimmiger, atmosphärisch dichter US-amerikanischer Hardboiled-Krimi, der einen sympathischen gebrochenen Helden aufweisen kann, gekonnt erzählt ist und niemals langweilt. Meine klare Empfehlung für die gesamte Reihe.

Robert B. Parker, Das dunkle Paradies

amerikanische Originalausgabe 1997 mit dem Titel „Night Passage“

Übersetzung von Robert Brack

TB, 338 Seiten

Pendragon Verlag, Bielefeld, 2013

ISBN 978-3-86532-355-2

Sämtliche derzeit erhältliche deutsche Titel der Jesse Stone Reihe von Robert B. Parker:

  • Das dunkle Paradies, 1997
  • Terror auf Stiles Island, 1998
  • Die Tote in Paradise, 2001
  • Eiskalt, 2003
  • Tod im Hafen, 2006
  • Mord im Showbiz, 2007
  • Der Killer kehrt zurück, 2008
  • Verfolgt in Paradise, 2009
  • Doppeltes Spiel, 2010

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