Belletristik,  Gesellschaftsroman

Teresa Präauer, „Kochen im falschen Jahrhundert“

Gleich zu Beginn dieser Buchvorstellung oute ich mich als sog. „Hobbykoch“. Aber wer ist das nicht heutzutage, in einer Zeit, in der die TV-Kanäle voller Koch-Shows, die Buchläden voller Lifestyle-Kochbücher und die sozialen Medien voller Essensfotos sind?! Und ja, auch ich erwische mich gelegentlich dabei, Fotos meiner Hobbykochergebnisse auf Twitter zu verbreiten. Kochen als Handwerk, Foodporn, Show, oder Mittel der Selbstdarstellung? Was ist da los?!

Wohl unbestritten bedeutet uns das Kochen in der heutigen Zeit weit mehr als seine ursprüngliche Bestimmung der Zubereitung einer Mahlzeit um satt zu werden. Gleichzeitig wurden in der jüngeren Menschheitsgeschichte nie größere Mengen an Convenience bzw. Fast Food verkauft und konsumiert. Das Kochen ist zu einem Phänomen geworden, das von ganz unterschiedlichen Seiten betrachtet werden kann und viele davon sind für uns nicht besonders schmeichelhaft. Teresa Präauer fügt diesem großen Thema in ihrem Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ einige ungewöhnliche, spannende Perspektiven hinzu. Besonders für Hobbyköche und Hobbyköchinnen nicht immer leicht zu verdauen.

Eine Einladung zum Abendessen. Fünf befreundete Personen kommen zusammen, erzählen, essen, trinken und lachen gemeinsam, und am Ende gehen Sie alle wieder ihrer Wege. Im Grunde eine ganz normale, völlig unspektakuläre Angelegenheit. Es ist eine Einladung in wohlhabenden Akademikerkreisen. Die Stadt, deren Name nicht genannt ist, wird wohl Wien sein, die Stadt, in der auch die Autorin lebt. Natürlich die berühmtberüchtigte Altbauwohnung in einem bürgerlichen Stadtviertel mit hübschen Cafés und kleinen Läden.

„In den Läden in der Innenstadt bekam man dasselbe wie in den übrigen Stadtvierteln, man musste aber doppelt so viel dafür bezahlen, um mit der Quittung eine Bestätigung des eigenen sozialen Aufstiegs oder der Verankerung in der gesellschaftlichen Elite zu erhalten.“

Ein geölter dänischer Esstisch, heller Natursteinboden, beide sehr empfindlich. Die Einrichtung eine Mischung aus Flohmarktfunden und Designerstücken, eigenhändig restaurierte Secondhand-Stühle, eine selbst entworfene Bücherwand. Viel Vintage, wie man so sagt. Einige Umzugskartons sind noch nicht ganz ausgepackt. Der Gastgeberin ist der anfängliche Elan zur Gestaltung der Wohnung mit der Zeit ein wenig abhandengekommen. Zu große finanzielle Möglichkeiten können offensichtlich ermüden.

Auf dem dänischen Esstisch stehen zwei Schüsseln mit Nüssen und Crackern. Zum Beginn des Menüs gibt es sommerlichen Blattsalat mit Birne in einer Vinaigrette aus Senf, Olivenöl und Essig. Ziegenkäse wird gereicht. Dann eine Quiche-Lorraine. Dazu eine Kiste Crémant aus dem Elsass und zum Abschluss nach Eis am Stiel dann Whiskey, Kräuterlikör, Birnenbrand, Marillenbrand, Sliwowitz. Alles sehr stilvoll in edlem Geschirr und wohlüberlegter Dekoration. Wohnung und Essen wie der ganze Abend, sehr viel Fassade im Rahmen des Machbaren.

„Die Tupperware passte nicht zur Lässigkeit, die die neuen Kochbücher in ihren Bildern propagierten. Man trug beim Kochen verwaschene Leinenhemden, weite Jeans und Turbane aus bunten Tüchern, man ließ sich vor Quitten, Zitronen und Auberginen porträtieren, vor dicken Büscheln an Kräutern. Die gesamte Vorbereitung bestand niemals darin, dass man schwitzend mit vollem Einkaufswagen an der Supermarktkasse stand, vielmehr nahm man sich Zeit und ging auf den Markt oder den Basar. Dort kannte man den Händler beim Namen und testete die Produkte mit den Händen. Man verkostete eingelegte Oliven, getrocknete Maulbeeren und korsischen Käse.“

Bemüht kultivierte Gesprächsthemen über das Korrigieren universitärer Abschlussarbeiten, Modern Jazz, das Ausgehehen in die besseren Bars, den Mangel an Utopien und natürlich wird über das Kochen und Essen gefachsimpelt. Im Hintergrund laufen vorgefertigte Jazz-Playlists von der Stange und zwischendurch werden Abend, Gäste und Essen immer wieder auf Instagram hochgeladen. Inklusive Tags, versteht sich. Spießigkeit mit Niveau.

Teresa Präauers Roman ist als Kammerspiel angelegt. Die Handlung beschränkt sich, bis auf gelegentliche Rückblenden bzw. Innenansichten, ganz auf die gemeinsame Zusammenkunft im Esszimmer der Altbauwohnung. Diese Art der Inszenierung eines Abendessens ist in Literatur und Film nichts Ungewöhnliches. Die Fokussierung ganz auf die Interaktionen zwischen den wenigen anwesenden Personen wird gerne genutzt, um Spannung aufzubauen. Dramatische Eröffnungen, unerwartete Wendungen, psychologische Ausnahmesituationen. Das Kammerspiel eignet sich ganz besonders für die Genres Drama und Thriller. Ganz anders jedoch Teresa Präauers Roman, der überaus handlungsarm geraten ist. Das hat mich überrascht. Dramatik, Suspense oder größere Wendungen sucht man hier vergebens. Stattdessen steht die Chemie der gesellschaftlichen Zusammenkunft ganz im Mittelpunkt der Geschichte.

Die Gastgeberin ist tief verunsichert. Sie und ihr Partner können wohl als soziale Aufsteiger bezeichnet werden. Beide haben sich mit den üblichen Insignien und dem Habitus ihrer neuen gesellschaftlichen Stellung umgeben. Die Gastgeberin scheint allerdings noch nicht richtig angekommen zu sein.

„Seit man schöner wohnte, empfing man die Gäste bei sich zu Hause. Die Gastgeberin wusste das, und sie musste noch üben.“

Sie ist längst nicht so souverän, wie sie eigentlich wirken möchte und nimmt sich als eine Art Akteurin in einem gutbürgerlichen Schauspiel wahr. Und nicht nur bei ihr scheint das Abendessen hauptsächlich als Vehikel der eigenen Selbstvergewisserung und Sinnsuche zu dienen. Bürgerliche Ideale der perfekten Hausfrau, intellektueller weltgewandter Auftritt, provinzielle Gemütlichkeit bei ambitionierter internationaler Küche. Überfrachtete Ambitionen, unklare Rollen und bemühte Selbstinszenierungen. Teresa Präauers Zusammenkunft zum Abendessen gleicht einer Versuchsanordnung, durch die eine bemerkenswerte Orientierungslosigkeit und Identitätskrise der bürgerlich urbanen Gesellschaft in Szene gesetzt wird.

„Allein die Vorbereitung mache sie nervös, sobald sie jemanden eingeladen habe. So viel könnte schiefgehen. Man sei auch weiterhin mit den Erwartungen an die Rolle konfrontiert, und mit den eigenen Bildern der sogenannten Hausfrau im Kopf. Beim Kochen hole einen die Herkunft ein, die guten und die schlechten Erinnerungen. Der internationale Koch habe es da wohl leichter. Wenn er einen Kochlöffel in die Hand nehme, wird er zum Zepter seiner Selbstbestimmung und seines Erfolgs.“

Die Geschichte des Abends wird auf eine bemerkenswert unaufgeregte, komische, ja satirische Art erzählt. Es wird geplaudert, philosophiert, geschwärmt und angegeben, dass es eine Freude ist. Die Gespräche sind interessant, witzig und teilweise zum Fremdschämen.

Dabei sind Teresa Präauers Beobachtungen ungeheuer detailliert und präzise. Die Autorin hat die Fähigkeit, den Blick auf die scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten zu richten. Die entlarvenden kleinen Gesten, Details und Andeutungen, die uns den Spiegel vorhalten und in denen wir Gefahr laufen, uns selbst wiederzuerkennen. Ja, gerade letzteres ist besonders reiz- und schmerzvoll zugleich. Teresa Präauer trifft immer wieder, vermeintlich nebenbei, exakt und scharf die wunden Punkte. Großartig.

Der Roman ist zudem sehr raffiniert und anspruchsvoll komponiert. Gleich der Beginn des Abends wird in drei unterschiedlichen Varianten serviert und im Verlauf der Geschichte ist nicht immer klar, in welcher Variante sich die Lesenden gerade befinden. Überhaupt entsteht der Eindruck, dass hier nicht einfach die Geschichte eines speziellen einzelnen Abends erzählt wird, sondern Teresa Präauer typische Versatzstücke derartiger Einladungen zu einem besonders dichten Einzelereignis, einer Art Archetyp, verschmolzen hat. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Protagonist*innen ohne eigene Namen bleiben und immer nur als Gastgeber*in, Partner*in, Ehefrau und Ehemann bezeichnet werden. Dazu ist der gesamte Roman in indirekter Rede, also ohne direkte Dialoge, gehalten, was ebenfalls den Eindruck einer gewissen Generalisierung zur Folge hat.

Bei aller Kunstfertigkeit und Scharfzüngigkeit ist „Essen im falschen Jahrhundert“ glücklicherweise ein sehr sinnlicher Roman geblieben. Nahezu jedes Kapitel verströmt den Duft köstlicher Speisen und wunderbarer Lebensmittel. Die Kapitel sind jeweils mit kleinen Listen versehen, Rezepte und Zutaten, die neugierig machen. Dazu als Einsprengsel immer wieder interessante Gedanken über das Kochen und seine Traditionen. Ein kulinarisches Erlebnis.

Teresa Präauers Roman „Essen im falschen Jahrhundert“ seziert auf satirisch ironische Weise die Orientierungslosigkeit und das Bedürfnis zur Selbstvergewisserung einer urban-bürgerlichen Gesellschaft. Ein Abendessen, ein Kammerspiel, eine Versuchsanordnung. Komisch, präzise, bissig aber niemals zynisch, lässt sie die Lesenden an der Zusammenkunft teilhaben, bei der es allen Beteiligten um viel mehr geht als nur um ein gemeinsames Abendessen. Ein Spiel mit Identität. Eine kulinarische Verführung und raffinierte, scharfzüngige Lektüre, die Spaß macht und bei der einem das Lachen wiederholt im Halse stecken bleibt. Köstlich, ein Genuss.

„Was ist Kultur? Jahre später sahen wir uns die Fotos dieser Wohnungen an, wie die Esszimmer eingerichtet und die Küchen ausgestattet waren, was die Menschen für Kleidung getragen haben. Wir prusteten los beim Betrachten der Bilder, wie lächerlich haben wir ausgesehen, und wie waren die Speisen angerichtet und dekoriert! Wir lachten darüber, wie lange war das alles her, heute nicht mehr vorstellbar, fremd waren wir uns selbst schon nach ein, zwei Dekaden.“

„Kochen im falschen Jahrhundert“ wurde für den „Deutschen Buchpreis 2023“ nominiert und hat es bis auf die Longlist geschafft.

  • Teresa Präauer, Kochen im falschen Jahrhundert
  • Hardcover, 198 Seiten
  • Wallstein Verlag, Göttingen, 2023
  • ISBN 978-3-8353-5429-6
  • Preis: 22 €

 

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