10 Fragen an: Henrike Jütting – Autorin
Letzte Woche hatte ich das Vergnügen eine Lesung der Autorin Henrike Jütting in der evangelischen Christuskirche in Olfen zu besuchen. Henrike Jütting (*1970 in Münster) hat nach einem Studium der Soziologie und Kulturwissenschaften in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert. Nach beruflicher Tätigkeit in Bremen, Brüssel und Celle, lebt sie wieder in Münster. Sie schreibt Kriminalromane, die in ihrer Heimatstatt und deren ländlicher Umgebung angesiedelt sind.
Ihre Reihe um die Kommissarin Katharina-Klein umfasst mittlerweile vier Romane. „Spiel im Nebel“ ist der aktuelle Band, aus dem die Autorin dem zahlreich erschienen Publikum vorlas. Im letzten Sommer hatte ich über genau diesen Roman bereits hier auf dem Blog berichtet, und so war es für mich sehr interessant zu verfolgen, welche Passagen sie für die Lesung ausgewählt hatte. Bei einem „Whodunit“-Thema immer eine kleine Herausforderung.
Ich bin ein großer Freund von Lesungen oder ähnlichen Veranstaltungen, bei denen man als Leser*in immer auch ein wenig hinter die Kulissen der Lektüren blicken kann. Diese unmittelbaren Eindrücke von der Person des Autors/der Autorin und ggf. auch die Möglichkeit eines kurzen Austauschs empfinde ich als sehr bereichernd. Im Anschluss an die gelungene Lesung war ich daher sehr erfreut, dass sich Henrike Jütting spontan dazu bereit erklärte, für den Start einer kleinen Interviewreihe auf „Horatio-Bücher“ unter dem Format „10 Fragen an…“ zur Verfügung zu stehen.
Ich bedanke mich hiermit noch einmal ganz herzlich bei ihr, sich die Zeit genommen zu haben, die schriftlich übermittelten Fragen ausführlich zu beantworten. Da wir uns schon länger in den sozialen Netzwerke (insbesondere Twitter) folgen, sind wir natürlich auch im Interview beim „Du“ geblieben.
1) Wie bist Du dazu gekommen, Krimis zu schreiben?
Meine Lust zum Schreiben ist über das Lesen gekommen. Als Jugendliche und junge Erwachsene habe ich voller Begeisterung Agatha Christie gelesen und ich weiß noch, dass ich damals gedacht habe, genau so etwas würde ich auch gerne mal schreiben. Agatha Christie gilt ja als Erfinderin der sogenannten “Whodunit-Krimis”. Ich war und bin absolut fasziniert von dieser Art der Kriminalliteratur, obwohl ihre Bücher auch vor 30 Jahren schon in einigen Punkten etwas aus der Zeit gefallen wirkten. Das tut aber für mich der Genialität und der Spannung der Geschichten keinen Abbruch.
Bei mir hat es dann aber noch mehr als zwei Jahrzehnte gedauert, bis ich angefangen habe zu schreiben. Was daran lag, dass erstmal andere Dinge wie Studium, Promotion, Familie und Umzüge im Vordergrund standen. Mit dem letzten Umzug zurück in meine Heimatstadt Münster änderten sich meine Lebensumstände und es gab plötzlich Zeitfenster, die das Schreiben ermöglichten. Ich habe dann zunächst mit Kurzgeschichten angefangen und dabei festgestellt, dass mir der Schreibprozess wahnsinnig viel Spaß macht. Ich habe mich dann an meinen ersten Krimi gewagt, der 2017 unter dem Titel “Schweigende Wasser” veröffentlicht wurde.
2) Was reizt Dich denn besonders an dem “Whodunit”-Genre?
Mir gefallen die typischen Merkmale eines “Whodunits”. Diese Krimis zeichnen sich ja vor allem dadurch aus, dass es in der Regel nur um ein Verbrechen geht und nicht um eine Serie, wie es bei einem “Hardboiled”-Thriller oft der Fall ist. Es gibt eine überschaubare Anzahl von Verdächtigen, viele falsche Spuren und bis zum Schluss weiß man nicht, wer der Täter oder die Täterin ist. Die Leser*innen begleiten die Ermittlerfigur beim Aufdecken des Verbrechens und haben die Chance, durch das Entdecken von kleinen Hinweisen und logischem Denken, die Lösung auch selbst zu finden.
Außerdem finde ich es sehr spannend, dass das Motiv für das Verbrechen immer im scheinbar harmlosen gemeinschaftlichen Miteinander liegt. Die Täter sind keine Psychopathen, die aufgrund einer grausamen Kindheit zu Serienkillern werden, sondern oft sind es ganz normale Menschen, die sich aufgrund von äußeren Umständen zu der Tat getrieben fühlen. Das finde ich sehr spannend.
3) Hast Du literarische Vorbilder?
Agatha Christie muss ich hier auf jeden Fall nennen. Wie gesagt, sie hat mich inspiriert und mich für das Genre “Whodunit” begeistert.
Ansonsten bin ich ein großer Fan von Hakan Nesser, der als Philosoph unter den skandinavischen Krimiautoren gilt. Ihn würde ich auch als literarisches Vorbild bezeichnen. Seine Krimis sind zwar nicht unbedingt klassische “Whodunits”, aber bei ihm stehen auch der Ermittler und die Aufklärung des Verbrechens im Mittelpunkt. Die Leserschaft erfährt viel über die Gedanken und Lebenseinstellungen seiner Hauptfigur und die Plots sind ausgeklügelt und intelligent, nicht überladen mit Gewalt und es gibt oft einen unerwarteten Plottwist. Das gefällt mir sehr. Außerdem hat er eine tolle Sprache.
4) Würdest Du Deine Krimis als Regionalkrimis bezeichnen?
Das kommt darauf an, was man unter einem Regionalkrimi verstehen möchte. Wenn man einen Krimi, der in einer bestimmten Region spielt und diese auch mit ihren Besonderheiten in der Geschichte aufgegriffen wird, als Regionalkrimi bezeichnet – dann ja.
Meine Krimis spielen in und um Münster und natürlich erwähne ich Straßen, Plätze, manchmal auch Cafés oder Restaurants, die es in Münster gibt. Ich greife auch schon mal den ein oder anderen Aspekt auf, der typisch für Münster ist. Gerne auch mit einem Augenzwinkern. Die Fahrräder und die Anzahl der Fahrraddiebstähle zum Beispiel. Oder ich erwähne die Art von Menschen, die am Samstagmorgen über den Prinzipalmarkt schlendern und anschließend auf dem Markt einkaufen. Aber alles sehr dezent. Meine Krimis enthalten Münster-Anteile, weil die Stadt mein Schauplatz ist, aber diese Beschreibungen fließen eher so nebenbei ein. Der Fokus liegt definitiv auf dem Fall und der könnte überall spielen.
5) Bei Deinen Krimis handelt es sich inzwischen um eine Reihe. Hast Du beim Verfassen eines neuen Teils die Erwartungen eines bestimmten Zielpublikums im Hinterkopf oder fühlst Du Dich bei der Wahl des Stoffs und der Form des Romans völlig frei?
Die Erwartungen eines bestimmten Zielpublikums habe ich nicht im Kopf. Wenn ich mir für meine Kommissarin Katharina Klein einen neuen Fall ausdenke, dann überlege ich mir Themen, Handlungsorte und Figuren, die ich selbst spannend und interessant genug finde, um mich damit viele Monate zu beschäftigen.
Da es sich aber, wie du sagst, um eine Reihe handelt, bin ich inzwischen nicht mehr ganz frei, was die Hauptfiguren angeht. Katharina, ihre Kollegin Eva, ihre Mutter und deren Partner entwickeln sich zwar mit jedem Buch weiter, aber sie müssen sich in ihrem grundlegenden Charakter, ihren Eigenarten und Kompetenzen treu bleiben, sonst würde das meine Leserschaft irritieren, denke ich.
6) Steht das Gerüst Deiner Romane bereits vollständig fest, wenn Du mit dem Schreiben beginnst oder lässt Du Dich von Deinen Charakteren leiten?
Wenn ich mit dem Schreiben beginne, habe ich tatsächlich einiges an Vorarbeiten absolviert. Ich mache mir Gedanken über das Verbrechen, das Motiv und daran entlang, entwerfe und entwickle ich den/die Täter/in, das Opfer und die wichtigsten Nebenfiguren. Auf diese Weise bekomme ich ein Gefühl für die neue Geschichte und mir kommen dabei auch Ideen für den Plot, die ich mir dann auch notiere. Ein festes Gerüst erstelle ich nicht. Der Schreibprozess unterliegt seiner eigenen Dynamik, das stelle ich immer wieder fest. Das gilt auch für die Figuren. Auch wenn ich mir vieles im Vorfeld ausdenke, so entwickeln sie irgendwann ein Eigenleben und verhalten sich plötzlich gar nicht mehr so, wie ich es ihnen zuschreiben würde. Dann heißt es flexibel bleiben und die Figuren machen lassen!
7) Wie stehst Du zu den dunkleren Seiten und Genres der Kriminalliteratur wie “Hardboiled”, “Thriller” oder “Noir”?
Solange es sich nicht um Horror oder Splatter handelt, lese ich alles was spannend ist. Scheiben würde ich in diesen Genres aber im Moment nicht.
8) Verfolgst Du die Arbeit anderer Krimiautor*innen?
Da ich auf Social Media aktiv bin, bekomme ich hier und da mit, was die Kolleg*innen so machen und finde das oft interessant und bereichernd.
Es gibt ja auch einiges an Möglichkeiten für Krimiautor*innen sich zu vernetzen. Die beiden großen Verbände “Mörderische Schwestern” und “Das Syndikat” zum Beispiel.
9) Welche drei Bücher hast Du zuletzt gelesen?
Dörte Hansen: Zur See
Hakan Nesser: Der Halbmörder
Yrsa Siguroardóttir: Schnee
10) Welche Projekte stehen für Dich in näherer Zukunft an?
Aktuell arbeite ich an Band 5 meiner Katharina-Klein-Reihe, der voraussichtlich Mitte/Ende Juni 2023 erscheinen wird. In ”Mord im Kreuzviertel” geht es um einen bekannten Münsteraner Lyriker, der anlässlich seines 70. Geburtstags seine ehemalige Wohngemeinschaft zusammentrommelt, mit der er Anfang der siebziger Jahre zusammen gewohnt hat. Eine der früheren Mitbewohnerinnen ist Vera Langenkämper, Richterin a.D. und Katharinas Tante. Erst fühlt sich alles wie ein unbeschwertes Revival an, aber nach einer grausigen Entdeckung in einem alten Kriechkeller, nimmt das Wiedersehen eine erschütternde Wendung …
Außerdem steht noch ein ganz besonderes Leseevent an. Am 31.5.2023 lese ich aus meinem aktuellen Krimi “Spiel im Nebel” in einzigartiger Atmosphäre und auf dem Aa-See im Herzen von auf der solarbetriebenen “Solaaris”.
Henrike, vielen Dank für Dieses Interview.