• Science-Fiction

    Hervè Le Tellier „Die Anomalie“

    Mit „Die Anomalie“ ist dem französischen Schriftsteller und studierten Mathematiker Hervè Le Tellier ein beeindruckender Roman gelungen, der völlig zu Recht mit dem bedeutenden französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Die am 10. März 2021 in Paris gestartete Boing 787, Flug Air France 006, wird kurz vor der Landung am JFK Airport New York von Jagdflugzeugen abgefangen und auf die McGuiere Air Force Base, New Jersey umgeleitet. An Bord befinden sich 243 Passagiere samt Besatzung. Bis auf eine extreme Gewitterfront, die überraschend schnell durchflogen werden konnte, war der Flug eigentlich problemlos verlaufen. Sämtliche Teilnehmer des Flugs 006 werden zunächst auf dem Militärflughafen festgehalten, psychologisch betreut und eingehend zum Flug und ihrer Vergangenheit befragt. Sie müssen erfahren, dass seit ihrem Start…

  • Kriminalroman

    Robert B. Parker „Das dunkle Paradies“

    Am Rand des Kontinents, nicht weit vom unteren Ende des Wilshire Boulevards und direkt oberhalb des Santa Monica Beachs, lehnte Jesse Stone im Dunkeln am Geländer und starrte ins Nichts, während unter ihm der schwarze Ozean in Richtung Japan davonrollte. Robert B. Parkers Krimi-Reihe um Jesse Stone, den Polizeichef der kleinen Ostküstenstadt Paradise, beginnt an der Westküste in L.A. Und es ist ein erster Satz, wie er treffender gar nicht sein könnte. Knapp, schnörkellos und auf das Wesentliche reduziert, beginnt hier eine geradezu klassische Reihe der Gattung Hardboiled-Krimi. Gleichzeitig zeugt dieser erste Satz von Sehnsucht, Dunkelheit und Einsamkeit. Ein Versprechen, das auch eingehalten wird. Es kann sehr befreiend sein, von Zeit zu Zeit einen geradlinigen, actiongeladenen Krimi zu lesen, der…

  • Belletristik,  Fantasy

    Stefan aus dem Siepen „Das Seil“

    Als Bernhardt, die Pfeife zwischen den Zähnen, seinen Abendgang machte, lagen die kleinen Holzhäuser des Dorfes im Dunkeln, die Läden vor den Fenstern waren geschlossen, hier und dort schlängelte sich Rauch von einem strohgedeckten Dach dem Himmel entgegen, an dem das gelbweiße Mondlicht die Sterne verscheuchte. Mit dieser Idylle beginnt Stefan aus dem Siepens (*1964 in Essen) kleiner Roman „Das Seil“. Die Geschichte spielt zu irgendeiner nicht näher bekannten Zeit, in einem kleinen weit abgelegenen Dorf, das von dichtem Wald umgeben ist. Auf dem abendlichen Rundgang um seinen Hof stößt der brave Bauer Bernhardt eines Abends auf das am Boden liegende Ende eines mysteriösen Seils. Quer über die Wiese verlaufend verschwindet es im nahe gelegenen Wald. Heranziehen lässt es sich…

  • Gesellschaftsroman

    Hari Kunzru „White Tears“

    Mit „White Tears“ des britischen Autors Hari Kunzru (*1969 in London) kann ich gleich am Jahresanfang einen sensationellen Roman vorstellen, der mich nicht nur begeistert, sondern auch tief bewegt hat. Ein Buch über den Ursprung des Blues, die New Yorker Musikszene, kulturelle Aneignung und den Rassismus in den Vereinigten Staaten. Der Ich-Erzähler Seth und sein Freund Carter sind Klang- und Musik-Puristen. Allerdings ist es die Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Charaktere. Carter stammt aus reichen Verhältnissen und kann durch einen Treuhandfond über große finanzielle Ressourcen seiner Familie verfügen. Es ist „Old Money“. Ein Vermögen zunächst nicht näher bekannter Herkunft, dass sich bereits seit Generationen in der Familie befindet und deren Mitglieder nachhaltig geprägt hat. Wenn man den Klangspezialisten und Technik-Nerd Seth…