Erzählungen,  Schauer/Horror

Stephen King, „Basar der bösen Träume“

Keine Frage, die Ansichten über E-Reader gehen nicht nur in den Literaturbubbles weit auseinander. Ich will dieses kontroverse Dauerbrenner-Thema an dieser Stelle auch nicht weiter vertiefen, Tatsache allerdings ist, dass es einige Bücher gibt, die geradezu danach verlangen, auf einem E-Reader (mit Hintergrundbeleuchtung) gelesen zu werden. Stephen Kings Kurzgeschichtensammlung „Basar der bösen Träume“ ist so ein Fall. Das Buch hat einige Wochen als Nachtlektüre auf meinem Nachttisch gelegen, um bei heruntergedimmter Hintergrundbeleuchtung im Dark-Modus, im Stockdunkel gelesen zu werden. Wahrhaft ideale Verhältnisse für die Lektüre kleiner Horrorstorys. Der E-Reader machts möglich.

Der „Basar der bösen Träume“ erschien erstmals 2015 und enthält 21 Kurzgeschichten deren Originale zum Teil bereits in amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht worden waren und die King für diesen Band, wie beim ihm üblich, nochmals überarbeitet hat. Nach eigenen Worten handelt es sich bei einigen von ihnen um „Inspirationsblitze“, die sofort zu Papier gebracht werden mussten, auch wenn dadurch die Arbeit an einem Roman unterbrochen wurde, andere sind wiederum Geschichten, die „jahrzehntelang geduldig auf ihre Chance gewartet haben“.

 

„Romane zu verfassen ist ein wenig so wie beim Baseball, wo das Spiel so lange läuft wie notwendig, selbst wenn es zwanzig Innings dauern sollte. Kurzgeschichten zu schreiben ist mehr wie ein Basketball- oder Footballspiel – man kämpft nicht nur gegen das andere Team, sondern auch gegen die Uhr.“

 

Stephen King schreibt seine zahlreichen Kurzgeschichten meist während der laufenden Arbeit an seinen Romanen. Sie sind eine Art Nebenprodukte, deren Qualität irgendwo zwischen kurzinspirierter Fingerübung und sorgfältig gereiftem Meisterwerk rangieren kann. Auch die Geschichten im „Basar der bösen Träume“ weisen diese Bandbreite auf und sind von ganz unterschiedlicher Stärke. Was sie jedoch eint, ist der typische Ton ihres Erzählers. Diese ganz einzigartige Stimme Stephen Kings, die mich seit den 80er Jahren, als ich zum ersten Mal „Es“ las, immer wieder aufs Neue in ihren Bann zieht. Seine kaum zu zügelnde Kraft zu erzählen, diese Gabe sofort mit ganz wenigen Sätzen eine neue Welt zu erschaffen, in ihr zu versinken und dabei immer zielsicher den Platz aufzuspüren, an dem wir unsere tiefsten Ängste verbergen. Auch wenn Stephen Kings literarisches Schaffen in der Kritik immer noch umstritten ist, will ich mich unbedingt einer absolut zutreffenden Feststellung aus dem jüngeren deutschen Feuilleton anschließen: „Stephen King ist eine Naturgewalt!“ und aus meiner Sicht ein meisterhafter Erzähler.

 

„Was leicht zu lesen ist, ist schwer geschrieben, sagen manche Lehrer, und es stimmt.“

 

Standesgemäß beginnt und endet der „Basar der bösen Träume“ jeweils mit einem Paukenschlag. Den Anfang macht mit „Raststätte Mile 81“ eine Horror- Geschichte in geradezu klassischer King-Tradition, in der ein auf einem verlassenen Rastplatz geparkter Kombi zu einem menschenverschlingenden Todesfalle wird. Eine Geschichte, die King bereits als junger Erwachsener aufgeschrieben hatte, ihm aber aufgrund seiner frühen Drogenprobleme abhandengekommen war. Vierzig Jahre später erinnerte er sich an sie und verfasste sie neu. SciFi-Horror-Action, mit einem Hauch „Christine“. Ein augenzwinkernd-ironisches Spiel mit seinem Status als Trashautor und nach eigenem Bekunden eine seiner Lieblingsgeschichten.

Ganz und gar anders dagegen die letzte Geschichte der Sammlung. „Sommerdonner“ ist eine melancholisch leise, vernichtende Dystopie, in der Anlehnungen an seinen Roman „The Stand“ zu finden sind. Die letzten langsam verbleichenden Sommertage am Lake Pocomtuck nach der Apokalypse. Eine schockierend sanft und menschlich erzählte Geschichte über das Ende der Menschheit, die man so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommt. Ein verstörender, gewaltiger Abschluss der Sammlung.

Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Horror-Storys tummeln sich noch neunzehn weiterer Geschichten, die manche Überraschung bereithalten und bis auf einige wenige Ausreißer gut unterhalten. Darunter finden sich versöhnliche, ja komödiantische Storys wie „Feuerwerksrausch“, in der zwei Familien tief in der amerikanischen Provinz einen grotesken Wettbewerb um das größte Feuerwerk austragen und sich dabei gehörig einheizen. Berührende, unheimliche Geschichten aus dem Altersheim wie „Mister Sahneschnitte“, in der ein Mann am Ende seines Lebens den Boten des nahenden Todes sieht und auf seine bewegte Vergangenheit im Manhattan der 80er Jahre zurückblickt. Natürlich gibt es auch große dämonische Horrorgeschichten, wie „Der böse kleine Junge“, in der ein Insasse der Todeszelle kurz vor seiner Hinrichtung berichtet, was ihn tatsächlich zu seiner Tat getrieben hat, oder man blickt dem menschlichen Bösen in „Jener Bus ist eine andere Welt“ einfach nur aus nächster Nähe direkt ins Angesicht.

Stephen King lässt seine Horrorstorys nicht einfach nur so auf die Leser*innen los. Neben einem aufschlussreichen Vorwort ist jeder Geschichte ein kleiner einleitender Text vorangestellt, in dem der Autor über die jeweilige Entstehungsgeschichte und seine Beweggründe beim Verfassen berichtet. Es sind kleine, meist sehr persönliche, faszinierende Einblicke, die der Rezeption seiner 21 Geschichten immer noch eine zusätzliche Perspektive hinzufügen. Bei aller Kürze erinnern mich Ton und Stil dieser Einleitungen an sein gewaltiges und beeindruckendes Grundlagenwerk „Danse Macabre“, dass ich hier auf dem Blog bereits vorgestellt habe und das nichts weniger ist als ein unmittelbarer Blick tief in seine Gedankenwelt.

 

„Manchmal kommt eine Geschichte ausgewachsen daher – als Komplettpaket. Normalerweise kommen sie mir aber in zwei Teilen: erst die Tasse, dann der Henkel. Und weil sich das Eintreffen des Henkels noch um Wochen, Monate, Jahre verzögern könnte, habe ich im Hinterkopf eine kleine Schachtel voller unfertiger Tassen, von denen jede durch diese einzigartige geistige Verpackung geschützt wird, die man Erinnerung nennt.“

 

Der „Basar der bösen Träume“ bietet das Düstere und Böse in vielfältiger Gestalt. Einundzwanzig Horrorstorys zwischen schockierendem Trash und melancholischer Schwermut, die in ihrer Gesamtheit auch als ein nicht immer ganz humor- und ironiefreies Abbild des amerikanischen Alltags der 2000er gelesen werden können. Eine insgesamt gelungene Sammlung, die im Finsteren eine ganz besondere Ausstrahlung hat, man aber sicherlich auch gut bei Tageslicht lesen kann.

 

„Und natürlich gibt es für meine treuen Leser auch eine überraschende Wendung. Schließlich ist es immer noch eine Geschichte von Stephen King.“

  • Stephen King, Basar der bösen Träume
  • Verschiedene Übersetzer*innen
  • OA: „The Bazaar of Bad Dreams“, 2015
  • E-Book, 11805 Positionen (Print-Ausgabe, 816 Seiten)
  • Wilhelm Heyne Verlag, München, 2016
  • ISBN 978-3-641-16403-4
  • Preis: 12,99 € (TB), 9,99 € (E-Book)

 

Facebook
Twitter
WhatsApp
Email
Print

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert