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Elfi Conrad, „Schneeflocken wie Feuer“
„Ich war siebzehn, und ich war eine Frau.“ Der erste Satz des Romans. Einfach, klar, selbstbewusst. Statement und Leitmotiv. Der Roman “Schneeflocken wie Feuer” erzählt die Geschichte der siebzehnjährigen Schülerin Dora, die in der Bundesrepublik der frühen 1960er Jahre mit ihrer Familie in einem Kleinstadthinterhaus lebt. Die Flucht aus Schlesien hat die Familie in den immerzu winterlichen Harz verschlagen, und genauso kalt und erstarrt wie die Umwelt, ist dort auch das Leben im Jahr 1962. An Doras Schule herrscht die damals typische Atmosphäre von Amtsautorität, Disziplin und Gehorsam. Wie überall in der Gesellschaft herrscht in vielen Köpfen noch der Geist…
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Anthony McCarten, „Going Zero“
Von diesem Roman hatte ich mehr erwartet. Eigentlich ein großartiges Spielfeld für einen großen Roman Um Anthony McCartens aktuellen Roman „Going Zero“ ist seit seiner deutschen Veröffentlichung im April ein regelrechter Hype entstanden. Negative Rezension sind eigentlich nicht zu finden und tatsächlich ist der Hintergrund des Romans, angesichts der sich in der Online-Welt rasant ausweitenden Möglichkeiten zur Verknüpfung höchstpersönlicher Daten, äußerst aktuell und von erheblicher Bedeutung. Was geschieht mit den gigantischen Mengen sensibler Daten, die wir tagtäglich ins Netz blasen? Wer sammelt sie, kann über sie verfügen und wie werden sie genutzt? Welche Gefahren bestehen, wenn wir uns völlig gläsern machen?…
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Kleine Bestandsaufnahme beim Abstauben älterer Beiträge aus der Kategorie Schauer/Horror
Am Wochenende hatte ich die Gelegenheit, für etwas Ordnung auf dem Blog zu sorgen und die Schauer-/Horrorliteratur vom Staub des alten Blog-Layouts zu befreien. Zwar gibt es „Horatio-Bücher“ (erst) seit knapp zwei Jahren, trotzdem sind bereits kleinere Pflegearbeiten an älteren Beiträgen erforderlich geworden. Ich hatte den Blog Ende 2021 zunächst als zeitlich begrenztes Projekt begonnen, um überhaupt erst einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, ob der Betrieb einer eigenen Homepage etwas für mich ist, und ich die Mühen und Zeit dafür aufbringen möchte, diese regelmäßig mit Inhalten zu versorgen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur gelegentlich Rezensionen bzw. Buchvorstellungen auf…
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John Burnside, „So etwas wie Glück“
Mit John Burnsides Erzählungssammlung „So etwas wie Glück“ bot sich mir nach einer Reihe teilweise sehr umfangreicher Romane die Gelegenheit, mich wieder einmal wesentlich kürzeren Texten zuzuwenden. Ich bin sowieso kein Freund allzu dicker Bücher. Gerade in diesem Sommer drücke ich mich erfolgreich um einige neue Wälzer namhafter angelsächsischer Autoren herum, die man als Literaturblogger eigentlich durchaus mal gelesen haben dürfte. Klar – Romane sind mehr als nur eine Geschichte und können ein ganzes Universum darstellen, aber es ist schon schwer neben dem „Reallife“ die Zeit für seitenstarke 700+ Lektüren aufzubringen. Da kam mir John Burnsides 250 Seiten leichte Sammlung gerade…
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Gabrielle Zevin, „Morgen, morgen und wieder morgen“
„In der Highscore-Tabelle des Donkey-Kong-Automaten seines Großvaters tauchte er als S.A.M. auf, aber meistens war er einfach nur Sam.“ Verlagswerbung und Klappentext hatten mich sofort elektrisiert: „Morgen, morgen und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin sei „ein Jahrzehnte umspannender Roman über Popkultur und Kreativität…“. Die Geschichte von „Sadie, einer hochbegabten Informatikstudentin und angehenden Gamedesignerin von Computerspielen“ und „ihrem früheren Super-Mario-Partner Sam“, die „beginnen, gemeinsam an einem Spiel zu arbeiten“. Nachdem das „Computerspiel zum Hit wird“, brächen „sich Rivalitäten Bahn, die alles zu bedrohen scheinen, was sie sich aufgebaut haben“. Besuchern meines Blogs oder Twitteraccounts, wird nicht verborgen geblieben sein, dass ich mich,…
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Miqui Otero, „Simón“
Mir ist der Roman des spanischen Schriftstellers und Journalisten Miqui Otero wegen seiner herrlichen Gestaltung aufgefallen, oder besser gesagt: „ins Auge gefallen“. Ich gebe unumwunden zu, dass für mich, gerade bei Hardcover-Ausgaben, die Gestaltung des Buchs, inklusive der Auswahl der Materialien, eine bedeutende Rolle spielt und ganz eindeutig zum „Gesamtpaket Buch“ dazu gehört. Im Falle von „Simón“ ist das dem Klett-Cotta Verlag ganz ausgezeichnet gelungen. Den Umschlag des Romans, der vom Verlag immerhin als „Denkmal der Stadt Barcelona“ bezeichnet wird, ziert ein spannend in Szene gesetzter Fotoausschnitt einer historischen Stadthausfassade, die sehr ansprechend beschriftet ist und wunderbar zum Inhalt und Charakter…
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Joachim B. Schmidt, „In Küstennähe“
„In Küstennähe“ ist der Debütroman des 1981 im schweizerischen Casis/Graubünden geborenen Joachim B. Schmidt. Früh war der Autor vom Inselstaat Island fasziniert. Schon zum Schulabschluss hatte er Gelegenheit, die Insel im äußersten Nordwesten Europas zu bereisen. Während weiterer Aufenthalte verliebte er sich vollends in das Land und machte es zu seiner Wahlheimat. Joachim B. Schmidt hat die isländische Staatsangerhörigkeit angenommen und lebt als Autor in Reykjavik. Besonders bekannt wurde der Autor durch seinen vierten Roman „Kalmann“, der im Jahr 2020 erschienen ist und hier auf dem Blog bereits ausführlich vorgestellt wurde. Die im Norden Islands angesiedelte, wunderbar menschliche Kriminalgeschichte um den…
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Solvej Balle, „Über die Berechnung des Rauminhalts I“
„Begeisterung für Bücher“ ist das Motto dieses Blogs, und ab und zu trifft man auf Lektüren, die es einem ganz besonders leicht machen, sich ganz und gar für sie zu begeistern. Bei dem nur 170 Seiten kurzen Roman „Über die Berechnung des Rauminhalts I“, der dänischen Autorin Solvej Balle ist das der Fall. Solvej Balle wurde 1962 in Bovrup (Nordschleswig) geboren. Nach Studium der Literatur und Philosophie in Kopenhagen, veröffentlichte sie 1984 ihren ersten Roman. Sie gilt als sehr bedeutende dänische Autorin, über die zu lesen ist, dass sie in den 1990er Jahren eines der berühmtesten Werke der dänischen Literatur geschrieben…
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Chris Whitaker, „Was auf das Ende folgt“
Der in London geborene Autor Christ Whitaker war zehn Jahre lang als Finanztrader tätig, bevor er mit dem Schreiben begann. Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Vor zwei Jahren erschien bei PIPER sein internationaler Bestseller-Roman aus dem Jahr 2020 „Von hier bis zum Anfang“, der auch in Deutschland ausgesprochen erfolgreich war. Gut nachvollziehbar, dass der Verlag daraufhin im letzten Sommer direkt nachlegte und nunmehr auch Chris Whitakers schon älteren Debütroman aus dem Jahr 2016 unter dem deutschen Titel „Was auf das Ende folgt“ nachträglich veröffentlichte. Den Romantitel „Was auf das Ende folgt“ empfinde ich allerdings mehr als unglücklich gewählt, worauf…
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10 Fragen an: Nils Westerboer – Autor
Im Februar des letzten Jahres erschien bei Klett-Cotta der Science-Fiction-Roman „Athos 2643“. „Athos 2643“ ist der zweite Roman des Autors Nils Westerboer und wurde hier auf dem Blog bereits mit großer Begeisterung vorgestellt. Die in ferner Zukunft angesiedelte, essayhafte Züge tragende, Geschichte um den Inquisitor und KI-Spezialisten Rüd Kartheiser und seine holografische Assistentin Zack, ist eine gelungene Verbindung technischer, philosophischer, juristischer und ethischer Fragestellungen. Der faszinierende Roman ist für den „Literaturpreis für Phantastik SERAPH 2023″ nominiert. Der Autor Nils Westerboer, geboren 1978 im schwäbischen Gaildorf, kann einen ausgesprochen abwechslungsreichen und interessanten Lebenslauf vorweisen. Trotz früher Berufswünsche als „Raketenanzünder bei der NASA“…
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Nils Westerboer, „Kernschatten“
Im letzten Frühjahr erschien bei Klett-Cotta „Athos 2643“. Der essayistischen Züge tragende komplexe Science-Fiction war der zweite Roman des Autors Nils Westerboer (*1978 im schwäbischen Gaildorf) und hat mich nachhaltig beeindruckt. Sofort nachdem ich meine Rezension beendet hatte, versuchte ich daher auch Nils Westerboers Debütroman „Kernschatten“ aus dem Jahr 2015 zu bestellen, doch leider war dieser im letzten Jahr nicht erhältlich. Das hat sich zum Glück geändert. „Kernschatten“ ist in der letzten Woche zu meiner großen Freude bei Klett-Cotta in einer überarbeiteten Version als Taschenbuch „wiederveröffentlicht“ worden. Angesichts des Erfolgs von „Athos 2643“, der jetzt auch noch für den „Seraph 2023“…
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Tom Lin, „Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“
Es sind wilde Zuschreibungen, die man über diesen kleinen, gerade einmal 300 Seiten kurzen, Roman lesen kann: „Thriller“, „Magischer Realismus“, „Krimi“, „Illusion“, „Western“, „geschaffen für die Coen Brüder“, „Gothic“. Es bereitet ganz offensichtlich erhebliche Probleme, „Die tausend Verbrechen des Ming Tsu“ in eine der gewohnten Schubladen zu quetschen. Einig sind sich die Rezensent*innen lediglich in der Einschätzung, dass es sich bei dem Buch um einen wilden Genre-Mix handelt. Es muss sich hier also um einen außergewöhnlichen Roman handeln. Ganz nach meinem Geschmack. Meine Neugierde war sofort geweckt. Aufmerksam war ich auf den Roman, der auch auf der DLF-Krimibestenliste Januar gelistet war,…
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10 Fragen an: Henrike Jütting – Autorin
Letzte Woche hatte ich das Vergnügen eine Lesung der Autorin Henrike Jütting in der evangelischen Christuskirche in Olfen zu besuchen. Henrike Jütting (*1970 in Münster) hat nach einem Studium der Soziologie und Kulturwissenschaften in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert. Nach beruflicher Tätigkeit in Bremen, Brüssel und Celle, lebt sie wieder in Münster. Sie schreibt Kriminalromane, die in ihrer Heimatstatt und deren ländlicher Umgebung angesiedelt sind. Ihre Reihe um die Kommissarin Katharina-Klein umfasst mittlerweile vier Romane. „Spiel im Nebel“ ist der aktuelle Band, aus dem die Autorin dem zahlreich erschienen Publikum vorlas. Im letzten Sommer hatte ich über genau diesen Roman bereits hier…
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Riku Onda, „Die Aosawa-Morde“
Der im schweizerischen Atrium Verlag erschienene Kriminalroman „Die Aosawa-Morde“ der japanischen Autorin Riku Onda (*1964 in Sendai/Japan), wurde gerade mit dem deutschen Krimipreis 2022 in der Kategorie „International“ ausgezeichnet. Nachdem mich bereits der Sieger der Kategorie „National“, Johannes Groschupfs düsterer Thriller „Die Stunde der Hyänen“, überzeugen konnte, war ich besonders gespannt auf „Die Aosawa-Morde“, dem Klappentext zufolge „Der ungewöhnlichste Spannungsroman, den Sie je gelesen haben“. Derart selbstbewusste Anpreisungen legen die Messlatte leider unnötig hoch, was den beworbenen Büchern nicht immer einen Gefallen tut. Auch in diesem Fall sind die großen Worte eher unglücklich gewählt. Das Buch ist nämlich ganz sicher kein…
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Bronte, Yann, „Sturmhöhe“
Lange schon bin ich ein großer Bewunderer von Emily Brontes Skandalroman „Sturmhöhe“, mit dem sie die englische Gesellschaft der viktorianischen Epoche aus der Fassung brachte. Zudem habe ich immer wieder festgestellt, dass dieser Roman auch heute noch sehr bekannt ist und überraschend viele Literaturfreund*innen begeistert. Es mag an der romantischen, düster-schaurigen Atmosphäre liegen oder vielleicht auch an den aufwühlenden, dramatischen Leidenschaften der Protagonisten, „Sturmhöhe“ fasziniert. Als ich hörte, dass dieser tolle Stoff beim Splitter Verlag als Comic-Adaption erschienen ist, musste ich darüber berichten. Pure Emotionen und bedrohliche Naturgewalt Um mich der Comic-Adaption von Emily Brontes „Sturmhöhe“ angemessen nähern zu können, möchte…
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Dan Simmons, „Terror“
Obwohl ich mich als ein sogenannter „Büchernarr“ bezeichnen würde, ist es für mich immer wieder ein besonderes Ereignis, einen Roman von knapp 1.000 Seiten Stärke zu beginnen. Auch wenn es sich hier ohne Anhänge lediglich um 962 Netto-Seiten handelt, bleibt „Terror“, im wahrsten Sinne des Wortes, ein ganz ordentlicher Brocken Holz. Eine so umfangreiche Lektüre beginne ich nur, wenn ich mir sehr sicher bin, einen wirklich gelungenen Roman vor mir zu haben. „Terror“ von Dan Simmons war so ein Fall. Das Buch war mir auf Twitter ans Herz gelegt worden und ohne diese nachdrückliche Empfehlung, hätte ich eine Lektüre wohl nie…
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Auf der Suche nach den Geheimtipps – „Tipps der Leser*innen“
Schon häufig bin ich durch den Hinweis oder die Empfehlung von Follower*innen in den sozialen Netzwerken (Twitter, Instagram, Mastodon) auf wirklich großartige Bücher aufmerksam geworden. Wenn dort über Literatur gesprochen oder auch diskutiert wird, sind besondere „Geheimtipps“ meist nicht fern. Ich selbst halte das genauso und verweise im Verlauf derartiger Gespräche auch oft auf Lektüren, die mich ganz besonders beeindruckt haben. Ich finde das ungeheuer spannend und meist schlage die Romane nach, die in den Threads so nachdrücklich empfohlen wurden. Für mich ist das eine sehr willkommene Gelegenheit, auch mal über den Tellerrand hinauszublicken und abseits des Gewohnten Neues zu entdecken.…
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Johannes Groschupf, „Die Stunde der Hyänen“
Beim Autor Johannes Groschupf (*1963 in Braunschweig) regnet es Preise. Schon 2019 wurde sein Thriller „Berlin Prepper“ mit dem Deutschen Krimipreis (1. Platz) und dem Politkkrimipreis der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg ausgezeichnet. Nachdem dann gerade 2021 noch der Deutsche Krimipreis (2. Platz) für „Berlin Heat“ verliehen worden war, folgt jetzt ganz frisch schon wieder ein erster Platz für seinen aktuellen Thriller „Die Stunde der Hyänen“. So viel Lametta sorgt natürlich für große Aufmerksamkeit. Völlig zu Recht. Ich bin sehr froh darüber, über den DKP auf den Autor und „Die Stunde der Hyänen“ gestoßen zu sein. Der lediglich 263 Seiten knappe Thriller…
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Das Heinz Nixdorf MuseumsForum Paderborn – „Die Geschichte der Zukunft“
Es ist sicherlich ungewöhnlich auf einem Literaturblog einen Bericht über den Besuch eines Computermuseums anzutreffen. Da ich aber schon immer ein Faible für Nerd-Themen und insbesondere für Computer hatte, interessiere ich mich natürlich auch für den Ursprung und die Entwicklung der Informationstechnologie. Da war das Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) das ideale Ziel, für einen Besuch im Neujahrsurlaub. Neben all den historischen und technischen Details drängten sich mir dann vor Ort aber auch zahlreiche Bezüge zu Themen der Literatur auf, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Da vom HNF zudem auch zwei sehr gelungene Bücher herausgegeben werden, lag es nahe, hier auf…
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Amor Towles, „Lincoln Highway“
In diesem noch ganz frischen Jahr 2023 habe ich wieder das Vergnügen, gleich mit einer sehr erfreulichen Buchvorstellung beginnen zu können. Der im letzten Sommer erschienene Roman „Lincoln Highway“ des 1964 in Boston/Massachusetts geborenen Bestsellerautors Amor Towles kann sicherlich zu den bedeutenden Romanen der vergangenen Saison gezählt werden. Er ist in vielen Literaturblogs auf sehr positive Resonanz gestoßen und konnte auch mich überzeugen. „Wäre es nicht wunderbar, dachte Woolly, wenn das Leben eines jeden Menschen ein Stück in einem Puzzle wäre? Dann wäre das Leben von niemandem im Leben eines anderen eine Unannehmlichkeit. Es würde einfach geschmeidig an seinen vorgesehenen Platz…